Eheschließung empört russische Menschenrechtler Zwangsheirat in Tschetschenien

MOSKAU · Ein begeistertes Gesicht machte die junge Braut nicht. Der Blick unter dem Silbergehänge ihres Brautschleiers war gesenkt, die Lippen hoben sich nur selten zu einem gequälten Lächeln. Am Samstag wurde im "Palast der Eheschließungen" der tschetschenischen Hauptstadt Grosny die Heirat zwischen Heda Gojlabijewa, 17, und dem Polizeioffizier Naschud Gutschigow, 46, standesamtlich registriert.

 Mit gesenktem Blick: Die Braut auf dem Standesamt.

Mit gesenktem Blick: Die Braut auf dem Standesamt.

Foto: AP

Die "Feier des Jahrtausends" verkündete Republikchef Ramsan Kadyrow. Und ein krachender russisch-tschetschenischer Skandal: Nach Angaben der Moskauer Zeitung Nowaja Gaseta wurden Heda und ihre Familie zu der Heirat gezwungen. Ihr Bräutigam, Bezirkspolizeikommandant, ließ angeblich Straßensperren um ihr Dorf Bajtarki aufstellen, um eine Flucht zu verhindern. Gutschigow soll tatsächlich 57 Jahre alt und längst verheiratet sein. Und die Nowaja Gaseta zitierte ihn mit der Versicherung, er wolle das minderjährige Mädchen keineswegs heiraten. "Von welcher zweiten Frau reden Sie? Meine einzige Frau steht hier direkt neben mir, ich liebe sie sehr."

Das hinderte den wackeren Chefpolizisten aber nicht, am Samstag vor einem Rudel Fernsehkameras die 17-jährige Heda standesamtlich zu ehelichen. Zuvor hatten die Braut und ihre Mutter dem russischen TV-Kanal Life News versichert, die Heirat sei freiwillig. "Er ist ein guter Mensch, darum..." murmelte Heda, "...tapfer, zuverlässig".

Ramsan Kadyrow gesellte sich am Abend zu der Hochzeitsgesellschaft, tanzte mit verzückter Miene Lesginka und erklärte, er habe die Heiratsstempel in den Pässen der Jungvermählten selbst gesehen. Nach Ansicht der Moskauer Menschenrechtlerin Jelena Masjuk handelte sich bei der standesamtlichen Zeremonie entweder um eine Zirkusvorstellung oder um Urkundenfälschung: Statt einer Standesbeamtin habe die tschetschenische Radiomoderatorin Asja Belowa das Paar verheiratet, obwohl ihr die dazu notwendigen Vollmachten fehlten. "Es geht gar nicht ums Alter", schreibt der dagestanische Blogger Sakir Magomedow. "Es geht darum, dass ein mehr oder weniger mächtiger Mensch auf jedes beliebige Schulmädchen zeigen darf, und man serviert es ihm auf dem Tablett, weil die Eltern um ihre Familie und ihr Leben fürchten."

Allerdings besitzen Mehrfachehen im islamischen Kaukasus Tradition. "Auch unter der Sowjetmacht hielten sich manche Männer zwei Frauen", sagt der Ethnologe Bibolet Baikulow unserer Zeitung. "Aber natürlich nie offiziell". Standesamtlich registriert wird nur die erste Ehe, aber alle wissen um den Status der zweiten, meist deutlich jüngeren Frau. "Muslimische Radikale praktizieren Polygamie ebenso wie reiche Tschetschenen", sagt der Kriminalexperte Ochran Dschemal. "Wenn sie sich dabei nicht an Mädchen unter 16 Jahren vergreifen, ist das genauso legal wie der Brauch Moskauer Millionäre, sich neben ihrer Gattin junge Liebhaberinnen zu halten."

So wäre die 17jährige Heda wohl kaum in die Schlagzeilen geraten, wenn ein tschetschenischer Geschäftsmann und kein Polizeikommandant Kadyrows um sie gefreit hätte. Der Tschetschenenchef aber ist nach mehreren unaufgeklärten Morden an Journalistinnen und Menschenrechtlerinnen nicht nur bei den liberalen Moskauern verhasst.

Als Folge der Ermordung des Oppositionspolitikers Boris Nemzow, an dem mehrere Sicherheitsoffiziere Kadyrows beteiligt gewesen sein sollen, hat Kadyrow offenbar auch das Wohlwollen Putins verloren. "Sein Verhältnis zum Kreml ist verdorben, Moskauer Ermittlungsorgane und Oppositionelle attackieren ihn gleichzeitig", sagt Dschemal. "In diesem Fall auf Klatsch- und Tratschniveau. Und auf dem Niveau wehrt er sich."

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort