Distanz zwischen Kirchenvolk und Vatikan bleibt Wahrheit und Wirklichkeit

ROM · Katholiken tragen kein leichtes Kreuz. Sie sollen sich unentwegt für Jesus Christus begeistern. Nicht einfacher wird es, wenn der Vatikan die Diskrepanz zwischen Dogma und katholischer Lebensrealität schriftlich haben will, und das auch noch mehrfach.

 Das Kirchenvolk wurde befragt. Die Antworten stellen die Führung freilich vor die alten Fragen.

Das Kirchenvolk wurde befragt. Die Antworten stellen die Führung freilich vor die alten Fragen.

Foto: dpa

Zum zweiten Mal waren nun Katholiken in aller Welt aufgefordert, im Hinblick auf die Bischofssynode zum Thema Familie einen Fragebogen zu beantworten. Die Frist zur Einsendung der Antworten nach Rom läuft heute ab. Die von den Bischofskonferenzen zusammengefassten Texte sollen zusammen mit dem Abschlussdokument der vergangenen Versammlung die Arbeitsgrundlage der kommenden Synode bilden.

Es gehe darum, "mit neuer Frische und Begeisterung erneut darüber nachzudenken, was uns die im Glauben der Kirche überlieferte Offenbarung über die Schönheit, die Rolle und die Würde der Familie sagt". So war es im Abschlussbericht des ersten Bischofstreffens zum selben Thema im vergangenen Herbst formuliert. Im kommenden Oktober folgt die entscheidende Runde, nach der von Papst Franziskus ein Machtwort, insbesondere zum Umgang mit Homosexualität und mit wiederverheirateten Geschiedenen erwartet wird. Nicht wenigen Gläubigen im deutschen Sprachraum haben die umständlichen Formulierungen der Kirchenmänner in Rom diesmal allerdings den Mut genommen. So wurden zum Beispiel "Sperrigkeit", "Komplexität" und Vielzahl der Fragen sowie ein "binnenkirchlicher Fachjargon" beklagt. Die Distanz zwischen Kirchenvolk und römischer Zentrale hat sich bislang nicht wesentlich verringert, trotz Papst Franziskus.

Viele deutschsprachige Katholiken haben ihren aus Argentinien stammenden Papst jedoch längst verinnerlicht. Allgemein fordern sie zum Beispiel eine "Kirche des Herausgehens", wie sie sich Jorge Bergoglio wünscht. Vatikan-Mitarbeiter, die mit den Vorbereitungen zur Synode befasst sind, wittern angesichts der Antworten aus Deutschland hingegen gezielten Lobbyismus liberaler Gruppen. Das zeigt wohl, wie schwierig der Weg zu einer Verständigung sein dürfte, auch unter den Bischöfen. Die Meinungen gehen bei den wesentlichen Streitpunkten etwa zur Frage einer Willkommenskultur für Homosexuelle oder der Zulassung zur Kommunion von wiederverheirateten Geschiedenen diametral auseinander.

Wieviel Einfluss darf die Wirklichkeit auf die theologische Wahrheit haben? So lautet die eigentliche Gretchenfrage der Synode, vielleicht sogar des Pontifikats. Für einige Prälaten steht deshalb nichts weniger als die Einheit der katholischen Kirche auf dem Spiel. Im deutschsprachigen Raum scheint nun die anfängliche Euphorie vieler Katholiken nach der ersten Befragungsrunde, die für manche einen Hauch innerkirchlicher Demokratie verströmte, verflogen.

Bei der ordentlichen Synode im Oktober erwarten Beobachter dann erneut den Zusammenprall der katholischen Kulturen, wie er bereits bei der ersten Runde zu beobachten war. Auffällig ist, dass die deutsche Kirche bei der Auseinandersetzung eine hervorgehobene Rolle hat. So kreist die Debatte einerseits um die Vorschläge des emeritierten Kurienkardinals Walter Kasper.

Immer deutlicher präsentiert sich hingegen der deutsche Präfekt der Glaubenskongregation, Kardinal Gerhard Ludwig Müller, als Fels in der Brandung gegen eine mögliche Aufweichung von Doktrin und Seelsorge. Erst bezeichnete er die Idee, die Ortskirchen über einzelne Aspekte beim Thema Ehe und Familie entscheiden zu lassen als "absolut antikatholisch".

Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, hatte zuvor behauptet, die deutschen Bistümer seien "keine Filialen von Rom" und könnten sich von der Synode nicht im Detail die Linien der Familienpastoral vorschreiben lassen. Müller fürchtet Sonderwege, wie sie etwa mit einer Handreichung in Freiburg unter Erzbischof Robert Zollitsch gegangen wurden.

Zuletzt erregte der Präfekt der Glaubenskongregation Aufsehen, als er die Aufgabe seiner Behörde in einer "theologischen Strukturierung" des Pontifikats erkannte. In Rom wurde der wie beiläufig in einem Interview der französischen Zeitung La Croix geäußerte Satz vor allem in Richtung Papst Franziskus interpretiert. Als kaum verheimlichter Vorwurf, dem gegenwärtigen Pontifikat fehle es an theologischer Struktur.

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