Porträt: EZB-Präsident Mario Draghi Schatten der Vergangenheit

BRÜSSEL · Mario Draghi dürfte lange gehofft haben, dass der vergangene Freitag einigermaßen geräuschlos vorbeigehen werde. Denn der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB) wäre die Schatten seiner Vergangenheit nur allzu gern los.

Aber in Brüssel vergisst man nicht so schnell, dass ausgerechnet der heutige Chef der wichtigsten Eurobank nicht ganz frei von Vorwürfen ist, am griechischen Desaster möglicherweise einen Anteil gehabt zuhaben. Es geht um ein Geschäft, für das Athen Ende vergangener Woche noch rund 1,6 Milliarden Euro begleichen musste - zuzüglich Zinsen. Ob die Summe tatsächlich überwiesen wurde, wird im Finanzministerium von Hausherr Gianis Varoufakis strikt verschwiegen.

Die Geschichte führt ins Jahr 1998, als Griechenland feststellte, dass man für den ersehnten Beitritt zur Eurozone ein viel zu hohes Staatsdefizit hatte. So engagierte die damalige Regierung die Investmentbank Goldman Sachs, um eine Lösung zu finden. Heraus kam ein dubioser Tauschhandel (Derivate-Swap), der einen Kredit über 2,8 Milliarden Euro enthielt. Außerdem verständigte man sich auf eine kreative Buchführung, bei der Schulden aus dem Haushalt herausgerechnet wurden - für ein fürstliches Honorar von 600 Millionen Euro, das Athen an die Banker zahlte.

Der damalige Vizepräsident von Goldman Sachs International und zuständige Mann für derartige Verhandlungen mit Regierungen hieß Mario Draghi. Der betonte später allerdings ein ums andere Mal, mit dem Griechenland-Deal nichts zu tun gehabt zu haben. Als der Italiener 2011 vor seiner Inthronisation als EZB-Chef dem Europäischen Parlament Auskunft über seine Ziele und Wertvorstellungen geben musste, wurde er von Abgeordneten auf die Aktivitäten seines früheren Arbeitgebers angesprochen.

Seine Antwort: "Das Geschäft wurde vor meiner Berufung abgeschlossen. Ich hatte nichts mit Regierungen und dem öffentlichen Sektor zu tun." Vor diesem Hintergrund bleibt allerdings erstaunlich, mit welcher Konsequenz die EZB seit Jahren alle Informationen über das Vorleben ihres Präsidenten unter Verschluss hält. Denn es existieren sehr wohl zwei Dokumente, die alle offenen Fragen klären könnten, wenn sie nicht in den Safes der EZB wie ein Staatsgeheimnis gehütet würden. "Die Auswirkungen von außerbörslichen Swaps auf das öffentliche Defizit und den öffentlichen Schuldenstand - der Fall Griechenland" heißt das wichtigere Papier, erstellt von Experten der EZB. Zusammen mit dem zweiten Dokument über "Transaktionen, die sich auf den Defizit- und Schuldenstand der Länder der Eurozone auswirken" ergäbe sich wohl ein vollständiges Bild. Aber obwohl in der EU eigentlich jeder ein Recht auf Einsicht in zentrale Dokumente hat, billigte der Europäische Gerichtshof (EuGH) schon vor einigen Jahren, dass die EZB ihre Aufzeichnungen nicht herausrücken muss.

In Brüssel sieht man die Vergangenheit des EZB-Präsidenten nicht mehr als aktuelles Problem an. Die Diskussionen sind nach der überwältigenden Mehrheit des Parlamentes bei Draghis Ernennung verstummt.

Der Banker sitzt fest im Sattel, das Europaparlament streitet höchstens um das Programm zum Staatsanleihen-Ankauf, das der EZB-Chef durchgesetzt hat. Dass Griechenland neben seinen Schulden auch noch die Spätfolgen des Deals mit der einstigen Investmentbank Draghis abzahlen muss, geht im Gesamtbild fast unter.

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