Kambodscha Ein gepeinigtes Volk geht neue Wege

PHNOM PENH · Kambodscha ist ein Land scharfer Kontraste: Hier prunkvolle weiße Tempel mit marmorkühlen Gebetshallen, dort Fischerhütten ohne Strom und fließendes Wasser. Hier chromblitzende SUVs auf den verstopften Straßen der Hauptstadt, dort Heuschreckenschwärme einfacher Mopeds, mit denen sich die meisten Kambodschaner - gern mit Handy am Ohr, aber mit größter Umsicht - fortbewegen.

 Lächeln trotz bitterer Armut: Dieses Mädchen lebt in einer einfachen Hütte am Straßenrand.

Lächeln trotz bitterer Armut: Dieses Mädchen lebt in einer einfachen Hütte am Straßenrand.

Foto: dpa

Hier junge Einheimische, die in der Touristenhochburg Siem Reap auf den Bänken einer Bar tanzen, dort die alte Frau mit geschorenem Haupt, die wartende Autofahrer an der Ampel um Almosen anbettelt. Und trotz allem Elend: Die Menschen lächeln. Fast immer. Dabei hat dieses Volk das pure Grauen hinter sich. Das Schreckensregime des Steinzeitkommunisten Pol Pot warf das Land, das bis 1953 französisches Protektorat war, um Jahrzehnte zurück. Pol Pots Versuch, es in eine archaische Agrargesellschaft zu verwandeln, kostete von 1975 bis 1979 mehr als 1,7 Millionen Landsleute das Leben. Anfangs erschossen die Roten Khmer ihre Opfer; später sparten sie die Munition und erschlugen sie mit Hacken, Knüppeln und Macheten. Kleinkinder packten sie an den Füßen und zertrümmerten ihre Schädel am Stamm eines knorrigen Baumes.

Man muss das wissen, um zu verstehen, welches Trauma in vielen Familien bis heute nachwirkt. In Phnom Penh ist ein Gedenkzentrum mit Bibliothek geplant, für das Architektin Zaha Hadid ein eindrucksvolles Gebäudeensemble entworfen hat. Vor einem Tribunal mit UN-Beteiligung laufen seit Jahren Prozesse gegen frühere Führer der Roten Khmer; Pol Pot selbst ist 1998 unter ungeklärten Umständen gestorben.

"Als die Roten Khmer von den Vietnamesen vertrieben wurden, haben sie eine Krankheit hinterlassen", sagt Keo Leng (Name geändert). "Diese Krankheit heißt Angst." Leng, ein Techniker von Mitte 50 aus der Stadt Siem Reap unweit der Tempelruinen von Angkor Wat, ist tief verbittert über die Situation seines Landes. Seinen richtigen Namen will er nicht gedruckt sehen, aus Angst vor Konsequenzen. In den 35 Jahren seit der Befreiung von Pol Pot habe der seit 1985 herrschende Regierungschef Hun Sen, selbst ein früherer Funktionär der Roten Khmer, so gut wie nichts erreicht, klagt er. Seine Volkspartei schaffe keine Jobs, sondern kümmere sich nur um eigene Pfründe. Mehr als 70 Prozent der Kambodschaner leben von Landwirtschaft, die meisten als Reisbauern. Fallen die Ernten wetterbedingt schlecht aus, wird Hunger zum Thema.

Die meisten Menschen leben in einfachen Holzhäusern auf hohen Stelzen, die vor Überschwemmungen schützen. Rund 40 Prozent haben keinen Strom. Die durchschnittliche Lebenserwartung eines kambodschanischen Mannes liegt bei nur 58 Jahren, die Kindersterblichkeit bei vier Prozent. "Die Bauern haben viele Krankheiten", berichtet Techniker Leng. Das liege vor allem am unsauberen Wasser. Sie trinken aus Regentonnen oder das Wasser aus den Reisfeldern. "Manche kochen es nicht mal ab", sagt Leng wütend. "Sie wissen es nicht besser; es fehlt an Bildung." Zwar gibt es eine neunjährige Schulpflicht, aber die steht nur auf dem Papier. Besonders Mädchen verlassen die Schule oft schon nach drei Jahren, weil der Transport zur Schule und die Schuluniform zu teuer sind. Die meisten Kinder arbeiten zu Hause mit.

Eine Krankenversicherung kennt Kambodscha nicht. Nur die Allerärmsten können sich mit Berechtigungsschein in Sanitätsstationen behandeln lassen, die von Hilfsorganisationen betrieben werden. Alle anderen zahlen im Krankenhaus, und zwar nach dem Motto: Wer viel gibt, wird gut behandelt - und umgekehrt. Patienten mit dem verbreiteten Denguefieber etwa sind schnell mal 400 Dollar los, was rund drei Monatsgehältern eines Lehrers entspricht.

Und dann ist da noch dieses Krebsgeschwür: Große Teile der Regierung und der Verwaltung sind zutiefst korrupt. Auf dem Korruptionsindex von Transparency International steht das Land auf Platz 156 unter 175 Staaten. Sichtbar wird das Geschwür an der Unbekümmertheit, mit der Verkehrspolizisten die Leute abzocken. Sie halten einen Mopedfahrer an, stellen angebliche Mängel am Krad fest, lassen sich Dollar zustecken - natürlich ohne Quittung - und schicken das Opfer von dannen. "Unser Land ist korrupt bis ins Mark", urteilt ein hochgebildeter Mann aus der Provinzhauptstadt Battambang. Hun Sens herrschende Volkspartei tue nicht viel mehr, als die Ressourcen Kambodschas auszubeuten. "Sie verkaufen alles ins Ausland, unsere Tropenhölzer zum Beispiel, und scheren sich nicht darum, die Wälder wieder aufzuforsten."

Ändern werden sich die Dinge wohl erst, wenn die Regierung wechselt. Seit 2013 hoffen viele Kambodschaner, dass der Wandel gelingen könnte. Bei den Parlamentswahlen scheiterte die Cambodia National Rescue Party, ein Zusammenschluss zweier Oppositionsgruppen, zwar noch an der Mehrheit - aber nur, weil Hun Sens Apparat die Ergebnisse manipuliert haben soll, wie die Opposition sagt. 2018 wird wieder gewählt. Techniker Leng bezweifelt aber, dass die Volkspartei die Macht aus den Händen geben wird, falls sie verliert. "Die kontrollieren das ganze System, Militär, Marine, Polizei, die Gerichte." Leng denkt an das benachbarte Thailand, wo ein Militärputsch 2014 die Demokratie beendet hat.

Doch längst nicht alle Kambodschaner sind so pessimistisch. Der Student Prak Lee (Name geändert) aus Phnom Penh gehört zu denen, die sich die Chance auf den Wechsel nicht mehr aus den Händen nehmen lassen wollen. Im Wahlkampf hat der schmächtige 30-Jährige mit dem scheuen Lächeln Geld für die Rescue-Partei gesammelt und gegen die Regierung demonstriert, organisiert über Facebook. Die Unterstützer der Partei seien hauptsächlich junge Leute, so Lee, viele davon mit Auslandserfahrung, die begriffen hätten, dass sie Rechte besitzen.

"Ich kann es nicht mehr ertragen, dass sich die Funktionäre große Autos und Villen verschaffen, während das Volk leidet", erklärt Lee. "Ich habe es satt, dass arme Leute enteignet werden, wenn ihr Grundstück für ein lukratives Bauprojekt gebraucht wird." Den Gang vor Gericht könnten sie sich sparen. "Sie bekommen sowieso kein Recht."

Lee ist mit einer Lehrerin verheiratet, wünscht sich in diesem Jahr das erste Kind und will nach dem Studium als Journalist bei den wenigen unabhängigen Medienhäusern oder für eine internationale Organisation arbeiten. Wie bei den meisten Kambodschanern hat der Terror der Roten Khmer auch in seiner Familie viele Leben gekostet. Doch die Krankheit Angst hat ihn nicht infiziert.

Als 2013 nach der Wahl die Straßenproteste losbrachen, war Lee dabei. Die Demonstrationen breiteten sich im ganzen Land aus; die Leute forderten Neuwahlen. Doch Hun Sen und seine Volkspartei blieben hart. Über Monate hinweg gab es blutige Zusammenstöße. "Die Polizei schlug brutal zu, egal ob sie Frauen oder sogar Mönche vor sich hatten", schildert Lee. Es soll mindestens sieben Tote gegeben haben, weil die Polizei auch scharf geschossen habe. Als die Gewalt im Juli 2014 erneut eskalierte, änderte die Opposition ihre Strategie. Bis dahin war sie dem Parlament ferngeblieben, um die Forderung nach Neuwahlen zu untermauern. Den Boykott hat sie nun aufgegeben mit dem Argument, nur im Parlament sei es möglich, an der Gründung eines neuen Wahlkomitees mitzuwirken. Das alte, mit Hun-Sen-Kadern besetzte Gremium hatte die umstrittenen Wahlergebnisse für gültig erklärt.

Jetzt gibt es erste positive Zeichen. Das Regime hat der Opposition erlaubt, einen eigenen TV-Sender zu gründen. Auch über die Modalitäten für das neue Wahlkomitee scheinen beide Parteien einig geworden zu sein. "Wenn das jetzt klappt", glaubt Lee, "haben wir 2018 die Chance, unsere Gesellschaft zu verändern".

Kambodscha

Kambodscha hat 14,5 Millionen Einwohner. Es gehört laut UN zu den 48 am wenigsten entwickelten Ländern der Welt. Tourismus (zuletzt 3,6 Millionen Besucher) spielt eine wichtige Rolle. Exportiert werden Bekleidung, Schuhe, Holz, Reis, Fisch, Tabak. Internationale Geldgeber unterstützen den Staat mit rund 500 Millionen Euro im Jahr. Schwere Vorwürfe gegen das Regime erhebt Human Rights Watch in einem aktuellen Bericht: Die Menschenrechtsorganisation spricht von Tötungen, Folter, willkürlichen Festnahmen und Verfahren. Hunderte von Oppositionellen und Journalisten seien seit Hun Sens Machtübernahme getötet worden.

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