Parteitag der Grünen Westfälischer Friede

Münster · Die Grünen vermeiden bei ihrer Debatte über die Wiedereinführung der Vermögensteuer einen Kampf um jeden Preis. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann musste dennoch eine Niederlage einstecken.

Simone Peter ist weit in die Zukunft geeilt. Ins Jahr 2186. Wer dann Deutschland regiert und was die Grünen dann machen, kann sie nicht beantworten. Aber erst dann, in 170 Jahren, sei es "vielleicht geschafft", dass ihre Ur-, Ur-, Ur-Enkelin die gleiche Rente wie Männer bekomme. Doch die Grünen wollen nicht so lange warten. Deshalb plädiert die Parteichefin für drei Dinge: für ein Ende der "Ausbeutung in Minijobs", für das Aus der "Herdprämie im Steuerrecht", also ein Ende des Ehegattensplittings, und, ganz wichtig, für eine "gerechte Besteuerung von Vermögen".

Dann kommt Winfried Kretschmann. Der einzige grüne Regierungschef eines Bundeslandes bleibt im Vergleich zu Peter in der Gegenwart des Jahres 2016, vielleicht noch mit einem Ausblick auf das kommende Wahljahr. Wenn die Grünen bei ihrem Bundesparteitag in Münster darüber streiten, ob und in welcher Form sie die Vermögensteuer wieder einführen sollen, denkt Kretschmann an den Mittelstand im Südwesten, "eine der stärksten Säulen gegen den Raubtierkapitalismus".

Der Grünen-Promi weiß um die Vorliebe großer Teile seiner Partei, Vermögende zu besteuern. Doch als Ministerpräsident von Baden-Württemberg habe er "eine Verantwortung dafür, dass diese Betriebe in guter Verfassung sind und sie auf dem Markt bestehen, das müsst ihr einfach verstehen", wendet er sich beinahe flehentlich an die Delegierten.

Zurechtstutzen der Promis

In konjunkturell guten Zeiten könnten mittelständische Unternehmen eine Steuer auf Betriebsvermögen "vielleicht noch ertragen, in schlechten geht sie sofort an die Substanz". Deswegen kämpfe er "mit aller Macht" dagegen. Die Grünen wären nicht die Grünen, würden sie nicht immer wieder ihre Promis zurechtstutzen. Und so schicken die Delegierten auch Kretschmann in dieser Frage mit einer Niederlage nach Hause. Das muss er aushalten.

Die Grünen und die Vermögensteuer. Über deren Einführung hatte die Partei über Monate gestritten - und ist dann ohne Einigung zur Bundesdelegiertenversammlung gereist. Immerhin haben es die Fraktionschefs Toni Hofreiter (linker Flügel) und Katrin Göring-Eckardt (Reala) geschafft, einen Kompromiss vorzulegen. Danach sollen die Grünen für eine Wiedereinführung der Vermögensteuer stimmen, aber bitte eine, die "Wert auf den Erhalt von Arbeitsplätzen und die Innovationskraft von Unternehmen" legen soll. Diese Formel besiegelt auch den Westfälischen Frieden der Grünen - gegen Kretschmann.

Superreiche wollen die Grünen künftig also zur Kasse bitten, die Mittelschicht dagegen soll nicht belastet werden. Die Grünen haben den Denkzettel vieler Wähler für ihre Steuererhöhungspläne im Bundestagswahlkampf 2013 nicht vergessen - mit einem damals geplanten höheren Steuersatz, gestaffelt ab einem Jahreseinkommen von 60.000 Euro brutto.

Knapp sechs Stunden diskutiert die Partei über "sozialen Zusammenhalt" und die Vermögensteuer. Die Delegierten plädieren für Chancengerechtigkeit. NRW-Schulministerin Sylvia Löhrmann ruft in den Saal: "Wir wollen, dass jedes Kind gleiche Chancen hat, egal, ob es Ayse, Marie, Leon oder Murat heißt." Bundestagsfraktionsvize Katja Dörner betont: "Wir wollen Kinder fördern, nicht den Trauschein." Deswegen: Ende des Ehegattensplittings. Gerechte Familienförderung gehe "tatsächlich nur mit der Kinder-Grundsicherung", so Dörner. Leopold Aschenbrenner von der Grünen Jugend fordert mehr Mut und tritt für ein bedingungsloses Grundeinkommen ein: "Wir brauchen größere Visionen, think big - sonst regiert Frauke Petry in 20 Jahren dieses Land."

Urwahlforum fällt aus

Aber erst einmal müssen die Grünen entscheiden, mit welchem Spitzenduo sie in den Bundestagswahlkampf ziehen. Doch das auf dem Parteitag geplante Urwahlforum mit den Kandidaten Cem Özdemir, Toni Hofreiter, Robert Habeck und Katrin Göring-Eckardt fällt kurzfristig aus: Schleswig-Holsteins Umweltminister Habeck muss wegen der Vogelgrippe kurzerhand zurück in den Norden. Stattdessen feiern die Delegierten in Münster 30 Jahre grünes Frauenstatut. "Finger weg von der Doppelspitze, Finger weg von der Frauenquote", warnt die frauenpolitische Sprecherin Gesine Agena.

Alles im grünen Bereich? Noch ist es nicht so weit. Im kommenden Jahr wollen die Grünen ihr Ergebnis von 8,4 Prozent bei der letzten Bundestagswahl verbessern - auch für den Plan einer Energie- und Verkehrswende. Dafür lassen sie auch einen prominenten Vertreter der Automobilindustrie in die Halle, weil man schließlich mit den Verursachern von Treibhausgasen reden muss. Daimler-Chef Dieter Zetsche ist zum Dialog mit den Grünen nach Münster gereist. In Jeans und Sneaker und ohne Krawatte betritt der Automanager Saal und Bühne. Zetsche bekennt sich offen für Ziele zum Klimaschutz, zu einer Mobilität ohne Schadstoffausstoß. "Die Grünen sagen, dass die Automobilindustrie nur überleben wird, wenn sie ein emissionsfreies Auto entwickelt. Das sehe ich genauso." Die Delegierten applaudieren. Sie wissen: Wer die Energie- und Verkehrswende will, kann nicht genügend Verbündete haben.

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