Rechtspopulistische Äußerungen So funktioniert die provokante Strategie der AfD

Bonn · Die Attacke des AfD-Politikers Alexander Gauland auf die Integrationbeauftragte Aydan Özoguz folgt einem bewährten Muster. Öffentliche Kritik nimmt die Partei ganz bewusst in Kauf.

Bei der AfD dürften sie bester Laune sein. Man redet wieder über die Partei, aus der in Umfragen zuletzt viel Luft entwichen war. Nun hat Spitzenkandidat Alexander Gauland mit seinen Tiraden gegen Integrations-Staatsministerin Aydan Özoguz den AfD-Ballon wieder aufgebläht, um den Sinkflug Richtung Fünfprozenthürde aufzuhalten. Denn nichts ist schlimmer, als wenn im Wahlkampf niemand über einen spricht.

Gaulands Satz, die in Hamburg geborene Deutschtürkin Özoguz möge man „in Anatolien entsorgen“, ist rassistisch und niederträchtig. Dass er breite Empörung hervorruft, ist richtig. Gleichzeitig ist die Aufregung vorhersehbar, und natürlich tut man der AfD damit einen Gefallen. Ein Tribunal wie in einer Talkshow, als Moderator Frank Plasberg und Gäste vereint Gauland in die Zange nahmen, ist das Beste, was ihm passieren konnte. Viel Feind, viel Ehr'.

Die AfD-Provokationen laufen stets nach demselben Muster ab, und zwar in sechs Phasen. Phase eins: Man sagt etwas Unerhörtes. Frauke Petry plaudert über Schusswaffeneinsatz gegen Flüchtlinge an der Grenze? Björn Höcke bezeichnet die NS-Erinnerungskultur als „dämliche Bewältigungspolitik“ und die Holocaust-Gedenkstätte als „Denkmal der Schande“? Gauland mutmaßt, „die Leute“ wollten den farbigen Fußballer Jérôme Boateng nicht als Nachbarn haben? Das Spiel kann beginnen.

Phase zwei: Alle regen sich auf. Meist sind Ralf Stegner (SPD) und Volker Beck (Grüne) die ersten, die zur Twitter-App greifen. Ihre Kritik wird in den sozialen Netzwerken geteilt, User kritisieren den Provokateur, ziehen Nazi-Vergleiche – und treffen auf den Furor der AfD-Fans und rechten Trolle. Schnell ist das Thema im Netz der Aufreger des Tages. Phase drei: Die Medien berichten über den Streit.

Der Provokateur sieht sich als Opfer der Mainstream-Medien

In Phase vier nimmt der Provokateur Stellung oder die AfD schickt einen anderen vor. Der beklagt dann, man sei wieder falsch verstanden worden. Gibt es Beweise, dann heißt es: Ja gut, die Wortwahl sei vielleicht daneben gewesen, aber inhaltlich sei alles richtig. Im Übrigen sagten doch auch andere Politiker viel Skandalöses, aber das berichte die Mainstream- Presse natürlich wieder nicht.

Mit Phase fünf hat der Provokateur, der sich inzwischen längst als Opfer darstellt, sein Ziel erreicht: Politische Schwergewichte wie Minister oder gar die Kanzlerin äußern sich. Spätestens dann ist es ein nationales Thema. Dann kommen auch Medien, die anfangs zurückhaltend waren, nicht mehr um eine Berichterstattung herum.

In Phase sechs klingt der Skandal langsam ab. Aber die Botschaft des Provokateurs ist platziert: Gauland hat es den „Multikulti-Träumern“ und „politisch Korrekten“ mal wieder gezeigt. Rassisten können aus Gaulands Zitat Bruderschaft im Geiste herauslesen, während gemäßigte Nationalkonservative sich einfach darüber freuen können, dass jemand für die Bewahrung der deutschen Kultur kämpft. Und bei den potenziellen Wählern hat die AfD kräftig Werbung gemacht. Mit diesem Prinzip – täglichen Provokationen und einer auf diese Weise erpöbelten TV-Dauerpräsenz – hat es Donald Trump ins Weiße Haus geschafft.

Nun sind wieder alle über das Stöckchen gesprungen, das die AfD hingehalten hat. Auch dieser Text ist Teil des Spiels. Vielleicht sollte die Öffentlichkeit etwas gelassener sein. Die AfD hat Köpfe und ein Programm, jeder kann nachlesen, wofür die Partei steht. Lohnenswerter wäre es, Debatten über Themen zu führen. Wie etwa die Frage, ob es eine deutsche Kultur gibt und wie sie aussieht. Daran hatten sich Gaulands Tiraden entzündet.

Klug verhält sich übrigens Aydan Özoguz, das Ziel der Attacken. Sie schweigt – und ignoriert den Provokateur einfach.

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