Nach der Bundestagswahl Linke will „soziale Oppositionsführung“ übernehmen

Berlin · Im Rennen um den dritten Platz ist die Linkspartei hinter der AfD, aber auch den Grünen und der FDP gelandet. Sie will in der Opposition künftig vor allem die AfD bekämpfen und bei Sozialthemen punkten.

Ganz kurz hört man die Stimme Alexander Gaulands, der auf einer großen Leinwand von seinem Wahlerfolg sprechen will. Doch schon nach den ersten Worten drehen die Moderatoren auf der Wahlparty der Linken im Festsaal Kreuzberg der Fernsehübertragung den Ton ab, spielen die Antifa-Hymne „Schrei nach Liebe“ von den Toten Hosen. Es ist klar, worin die Linkspartei künftig ihre Aufgabe sehen wird, die mit 8,9 Prozent das zweitbeste Wahlergebnis ihrer Geschichte eingefahren hat. Das Rennen um Platz drei hat sie mit Abstand verloren, und mit der AfD nun einen Gegner in der Opposition, mit dem sie keinen Kompromiss machen will. Bei den Sozialthemen rechnet sich die Linke eine tragende Rolle aus.

„Wir müssen uns nichts vormachen: Das Ergebnis der AfD liegt uns im Magen“, sagte Wagenknecht auf der Berliner Wahlparty der Linken im Festsaal Kreuzberg. Mit heftigem Applaus empfängt das Publikum sie, eigentlich habe sie mit dem zweiten Spitzenkandidaten Dietmar Bartsch auf die Bühne gewollt, der steckte aber noch im Verkehr fest. Wagenknecht sprach ihre Freude über das Wahlergebnis aus, schoss aber auch gegen die Große Koalition. Die Wahlniederlage der SPD nannte sie einen „Warnschuss“, die Sozialdemokraten müssten aufhören, „Politik gegen die eigenen Wähler zu machen.“ Ihre eigene Partei wolle „sozialer Oppositionsführer bleiben“.

Dem schloss sich Bartsch bei seinem weniger dramatischen Auftritt wortgleich an, fügte aber hinzu, in der AfD hätten die Menschen ein „Ventil“ gesucht, das sie in der Linken nicht gefunden hätten. Mit Wagenknecht war Bartsch vor der Wahl immer wieder aneinandergeraten, wenn es um die Frage einer Regierungsbeteiligung ging. Bartsch, der zum ostdeutschen realpolitischen Flügel seiner Partei gehört, hielt die Option eines rot-rot-grünen Bündnisses stets bewusst offen. Er hatte gerne von einem Mitte-Links-Bündnis gesprochen, wenn es um die Option ging, mit SPD und Grünen gemeinsam zu regieren. Diese Möglichkeit ist nach der SPD-Aussage, in die Opposition gehen zu wollen, wohl nicht mehr offen.

Wagenknecht hatte Rot-Rot-Grün zwar auch nicht ausgeschlossen, die Option aber faktisch zugemacht, indem sie in der Außenpolitik nicht erfüllbare Forderungen an die SPD stellte. Die 48-Jährige war aber die sehr viel präsentere Person im Wahlkampf, wie sich auch am Applaus auf der Wahlparty bemessen ließ. Dass die Linken ihr Ergebnis noch einmal verbessern konnten, ist auch ihrer Talkshow-Präsenz zu verdanken. Sie wird also auch in der neuen Fraktion den Takt vorgeben. Sie wird als heimliche Parteichefin wahrgenommen, nachdem sie bei der Nominierung für die Spitzenkandidatur zur Bundestagswahl die Parteichefs Bernd Riexinger und Katja Kipping geschickt ins Aus manövriert hatte.

Kipping schrieb diese innerparteilichen Konflikte gestern Abend der Vergangenheit zu: Man habe „am Anfang kontrovers diskutiert“, sei im Wahlkampf in den vereinbarten Inhalten aber geschlossen aufgetreten. Wie sie sieht auch Riexinger die Wahl als Erfolg für die Linke. Mit der AfD zögen „Neonazis“ in den Bundestag ein, die „in der Linken ihren härtesten Gegner für die nächsten vier Jahre finden“ würden. Diese Kampfansage zeigte offenbar Wirkung: Wenige Minuten später präsentierten die Moderatoren auf der Bühne der Wahlparty ein neues Parteimitglied, das einen der zahlreich verteilten Beitrittsverträge unterschrieben hatte.

Das Fazit des Abends: Die Linken bleiben Oppositionspartei. Dass sie dabei die Führungsrolle verlieren, liegt auch an vier Jahren Bundestag, in dem es für die große Koalition nur eine Opposition von links, nicht aber von rechts gab. AfD und FDP konnten in der außerparlamentarischen Opposition wachsen, weil die Regierung Merkel/Gabriel immer nur Kritik von links bekam – das gilt insbesondere für die Flüchtlingskrise. Für die Linken wird es härter, sich als kleinere Oppositionspartei im Parlament zu behaupten. Insbesondere im Osten haben auch sie viele Stimmen an die AfD verloren. Wie sie die zurückbekommen wollen, darauf gaben weder Bartsch noch Wagenknecht gestern eine Antwort.

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