Neuausrichtung der Türkei-Politik Gabriel zwischen Türkei und Wahlkampf

Berlin · Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) verschärft nach Beratungen mit Kanzlerin Angela Merkel und SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz den Kurs gegenüber Ankara. Dafür gab es nicht nur Beifall.

Irgendwie ist dann auch in diesem Kapitel des Türkei-Konfliktes Wahlkampf. Martin Schulz eilt im Auswärtigen Amt über den roten Teppich – rein ins Ministerbüro. Hat Sigmar Gabriel jetzt auch den SPD-Chef einbestellt? Natürlich nicht. Der Außenminister und der SPD-Kanzlerkandidat beraten, wie die Bundesregierung nach der Verhaftung des deutschen Menschenrechtlers Peter Steudtner in der Türkei reagieren soll.

Gabriel telefoniert am Morgen mit der CDU-Vorsitzenden Angela Merkel in der Sache. Gleich will er auch noch CSU-Chef Horst Seehofer in München anrufen. Damit ist wunderbar erklärt, warum auch Schulz, der zuletzt von Merkel eine härtere Gangart und deutlichere Töne gegenüber Ankara gefordert hatte, in die Beratungen eingebunden ist. Neuausrichtung der deutschen Türkei-Politik: Angelegenheit der gesamten großen Koalition. Gabriel hebt es in diesem Moment auch auf die Ebene der Parteien.

Den Außenminister stört das nicht: „Also, erstens sind wir im Wahlkampf, das weiß auch die deutsche Bundeskanzlerin (...), und natürlich treten da Parteien unterschiedlich auf.“ Und: „Dass Wahlkämpfer eine pointierte Auffassung vertreten in solchen Dingen, ist völlig logisch.“ Die Vorschläge des SPD-Kanzlerkandidaten beispielsweise, die Verhandlungen der EU mit der Türkei über eine Zollunion nicht auszuweiten, oder auch die Frage, ob die Bundesregierung derzeit Geschäfte mit der Türkei noch mit Hermes-Bürgschaften absichern soll, finde er „alle richtig“.

Wenn es um eine „solch schwerwiegende Frage“ wie die Beziehungen zur Türkei gehe, könne das Auswärtige Amt selbstredend nicht alleine entscheiden, sondern darüber müsse in der Bundesregierung beraten werden. „Aber dass wir im Wahlkampf sind und die politischen Parteivertreter sich dazu positionieren und sich gegenseitig sagen, was sie vom anderen halten, (...), ich glaube, das war nie anders.“

Zu diesem Zeitpunkt hat Schulz das Auswärtige Amt schon wieder verlassen. Ein gemeinsamer Auftritt von Schulz und Gabriel im Außenamt wäre dann doch zu viel gewesen – selbst im Wahlkampf.

Türkei-Politik neu ausrichten

Gabriel ist dann wieder ganz Außenminister und verweist darauf, dass die Vorwürfe, wegen derer deutsche Staatsbürger in der Türkei in Untersuchungshaft säßen, „abwegig und an den Haaren herbeigezogen“ seien. Deutschland müsse in jedem einzelnen Fall um den völkerrechtlich zugesicherten konsularischen Zugang zu den Inhaftierten kämpfen. Ihm liege die Türkei sehr am Herzen. Das Land müsse Teil des Westens bleiben. Er könne umgekehrt dazu leider keine Bereitschaft in Ankara erkennen. Die Bundesregierung müsse auch deshalb ihre Türkei-Politik neu ausrichten. „Wir können nicht so weitermachen wie bisher.“

In einem ersten Schritt verschärft das Auswärtige Amt nun die Hinweise für Reisen in die Türkei. Deutsche Staatsbürger seien in der Türkei nicht mehr sicher vor Verhaftungen. Gabriel: „Wir können daher gar nicht anders, weil wir dem Schutz der Bürgerinnen und Bürger unseres Landes verpflichtet sind, als unsere Reise- und Sicherheitshinweise in die Türkei anzupassen.“

Maßnahmen "unabdingbar"

Die türkischstämmige Linken-Abgeordnete Sevim Dagdelen nannte die von Gabriel angekündigten schärferen Reisehinweise „Theaterdonner“. Derweil begrüßte der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Gökay Sofuoglu, die Neuausrichtung der deutschen Türkei-Politik. „Deutschland muss jetzt handeln, sonst verliert es nach innen und nach außen seine Glaubwürdigkeit“, sagte Sofuoglu dieser Zeitung. Es sei „angebracht, jetzt gegenüber der türkischen Regierung klare Kante zu zeigen“. Merkel ließ erklären, die von Gabriel genannten Maßnahmen seien „angesichts der Entwicklung notwendig und unabdingbar“.

Bliebe da noch ein angebliches Tauschangebot der Türkei. Deutschland bekomme den deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel zurück, wenn es im Gegenzug zwei nach Deutschland geflohene türkische Ex-Generäle ausliefere, heißt es in einem Medienbericht. Gabriel sagt: „Ich kenne kein offizielles Tauschangebot.“ Damit wird er richtig liegen, denn offiziell würden derlei Tauschangebote nie unterbreitet.

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