Wahlkampf in den USA Zwei Fußkranke auf dem Weg zum Weißen Haus

Washington · In den kommenden zwei Wochen werden Republikaner und Demokraten ihre Kandidaten für die Präsidentschaftswahl nominieren: Donald Trump und Hillary Clinton. Das Problem: Die meisten US-Amerikaner wollen keinen von beiden.

 Macht selbst den eigenen Parteifreunden Angst: Multimillionär Donald Trump ist zwar die Nominierung bei den Republikanern sicher, aber die Mehrheit der Partei hätte lieber einen anderen Kandidaten.

Macht selbst den eigenen Parteifreunden Angst: Multimillionär Donald Trump ist zwar die Nominierung bei den Republikanern sicher, aber die Mehrheit der Partei hätte lieber einen anderen Kandidaten.

Foto: AP

Vor vier Jahren in Tampa drohte Hurrikan „Isaac“ die Konservativen in Amerika hinwegzufegen. Der Sturm über Florida drehte in letzter Minute ab. Mit lauwarmem Applaus wurde Mitt Romney vom Delegiertenvolk auf die Zielgerade des Wahlkampfs geschickt. Ergebnis: Zweiter. Erster: Barack Obama.

Ab nächsten Montag kündigt sich der republikanischen Partei in Cleveland/Ohio ein Naturschauspiel an, das sich mit Sicherheit nicht verziehen wird: Donald Trump, Immobilien-Tycoon, Milliardär, Volkstribun, Ex-TV-Showmaster und selbst ernannter Lordsiegelbewahrer der Verunsicherten Staaten von Amerika. Nach einjährigem Zermürbungskrieg gegen das Partei-Establishment und weite Teile der veröffentlichten Meinung will sich der Geschäftsmann die Nominierung für die Präsidentschaftswahl am 8. November abholen.

Zu dem viertägigen Politzirkus mit Beschwörungsformeln, hehren Versprechen und Luftballons, dem abends Millionen an den Fernsehgeräten folgen, werden in der Stadt des frischgebackenen Basketballmeisters Cleveland Cavaliers 50.000 Gäste, 5.000 Delegierte und 15.000 Journalisten aus aller Welt erwartet. Eine Woche später (25.- 28. Juli) wartet auf Hillary Clinton bei den Demokraten in Philadelphia die gleiche Prozedur.

Die meisten US-Amerikaner wollen keinen von beiden

Was die Kandidaten – nach Geschlecht, Intellekt und Gesinnung weiter voneinander entfernt als Nord- und Südpol – verbindet, liegt ihren Kampagnen schwer im Magen: Die allermeisten Amerikaner mögen sie nicht und gäben ein Königreich für eine Alternative.

Trump hat sich den Ruf des größten Demagogen und Spalters seit George Wallace erworben, der zwischen 1964 und 1976 viermal für das Weiße Haus kandidierte – erfolglos. Clinton dagegen gilt als programmatisch elastische Politikerin mit reichem Erfahrungsschatz, die sich aber vergeblich die Aura der Erneuererin gibt. Kein Zweifel: Es sind zwei Fußkranke, die da Richtung Weißes Haus humpeln. Und Trump hat ausgerechnet die eigene Partei die Krücken weggeschlagen.

Trotz knapp 14 Millionen Stimmen und 37 von 50 möglichen Siegen in den Vorwahlen, trotz 16 weggebissener Konkurrenten, trotz des dicken Delegiertenpolsters (über 1.500, nötig sind 1.237) geht in der Partei von Abraham Lincoln und Ronald Reagan die Angst um. Die Angst, zum dritten Mal hintereinander den Demokraten das Oval Office überlassen zu müssen. Und zur Strafe obendrein vielleicht auch die Mehrheit im Senat. Warum?

Trump, seit 30 Jahren an der Schnittstelle zwischen Show- und Politikgeschäft zu Hause, hat die Republikaner in einer feindlichen Übernahme gekidnappt. „Und dies mit einer Kampagne, die ihre Wurzeln in Ignoranz, Vorurteilen und Isolationismus hat.“ Sagt kein böser Demokrat. Sagt Hank Paulson, Finanzminister unter dem republikanischen Präsidenten George W. Bush. Der frühere Bankmanager spricht moderaten Konservativen aus der Seele, die den 70-jährigen Trump für den Beerdigungsunternehmer halten, der die „Grand Old Party“ zur letzten Ruhe schikaniert.

Trump hat die Lehren aus Mitt Romneys vermeidbarer Niederlage 2012 in den Wind geschossen und zügellos gegen Mexikaner (Grenzwall), illegale Einwanderer (elf Millionen sollen deportiert werden) und Muslime (Einreiseverbot) gehetzt. Hat sämtlichen Handelsabkommen (Nafta, TTIP etc.) und China auf dem Feld von Jobs und Währung den Kampf angesagt. Hat Bündnispartner von Japan bis Deutschland vor den Kopf gestoßen. Hat die etablierte Politik in Washington als Betrug am Volk geschimpft. Hat Gewalt gegen Andersdenkende hoffähig gemacht und Hillary Clinton in die Poleposition gelästert.

Clinton führt mit 51 zu 42 Prozent

Wie das Meinungsforschungsinstitut Pew Center herausgefiltert hat, führt Clinton bei weißen Wählern landesweit mit 51 zu 42 Prozent vor Trump. Schaut man speziell auf Afroamerikaner (91 zu sieben Prozent) und Latinos (66 zu 24 Prozent), zwei gerade in den Wechselwähler-Bundesstaaten Ohio, Pennsylvania, Florida und Virginia wichtige demografische Blöcke, wird der Nachteil für den New Yorker Selbstvermarkter fast unüberwindbar groß.

Dazu kommt: Über die Hälfte der Republikaner sagt offen: „Ich hätte lieber einen anderen Kandidaten als Trump.“ 70 Prozent aller Amerikaner beschleicht bei dem Gedanken an „The Donald“ sogar die pure Angst. Wobei gilt: Alle Umfragen sind vier Monate vor der Wahl mit größter Vorsicht zu genießen. Die Abstände zwischen den Kandidaten ändern sich wöchentlich. Gerade erst hat ein einzelnes Institut Trump in einigen Bundesstaaten sogar vor Clinton gesehen.

Mit Ruth Bader Ginsburg hat sich auch eine eigentlich zur Verschwiegenheit verpflichtete Richterin am Obersten Gerichtshof öffentlich in die Riege der Besorgten eingereiht. Sollte Trump gewinnen, sagte die 83-Jährige und wurde dafür von „The Donald“ via Twitter sofort zum Rücktritt gedrängt, müsse sie über Flucht nachdenken. Nach Neuseeland.

Weil sich Trumps Rhetorik ausschließlich an weiße Globalisierungsverlierer älterer Jahrgänge wendet, rätseln Wahl-Prognostiker, wie der Populist auf jene 270 Stimmen im „electoral college“ kommen will, das den Präsidenten bestimmt. Wählt Amerika so wie in den Jahren zuvor, hat Clinton bereits heute 210 Wahlmänner sicher. Trump kommt auf etwa 160.

Pläne für einen Coup gegen Trump in letzter Minute scheinen zu scheitern. Es mangelt an Alternativen. „Die Delegierten in Cleveland aus ihrem Abstimmungszwang pro Trump zu befreien“, sagte ein Republikaner-Funktionär in Washington dieser Zeitung, „wird nicht gelingen.“ Nach einigen Wort- und Scheingefechten werde darum „ein Mann für das wichtigste Staatsamt gekürt, der fast überall nur Absetzbewegungen und Kopfschütteln auslöst“.

Niemand der Granden der Republikaner, kein George W. Bush, kein John McCain, kein Mitt Romney, wird das Familientreffen in der „Quicken Loans Arena“ durch Anwesenheit aufwerten. Trumps geschlagene Mitbewerber, Marco Rubio und Ohios Gouverneur John Kasich, sozusagen qua Amt der Gastgeber, wollen sich entschuldigen lassen. Ebenso fast die Hälfte der 54 Senatoren und viele Kongressabgeordnete. Sie entziehen sich der Ego-Show, der auch der Boxpromoter Don King und die schrille Polit-Sirene Sarah Palin nach jetzigem Stand fernbleiben. In Ermangelung echter Stars und Schwergewichte wird Trump dafür so ziemlich jedes Mitglied seiner Familie auftreten und reden lassen.

Wer beruflich hin muss, wie etwa Paul Ryan, Sprecher des Repräsentantenhauses, beißt sich auf die Zunge, wenn es ans Lobverteilen für Trump geht. Stattdessen werden Leute wie der Schauspieler Chuck Norris, der Alt-Wrestler Hulk Hogan und der Football-Quarterback Tim Tebow dem Unternehmer die Stange halten bei seinem Projekt „Make America Great Again“. Prominente Redeanteile wurden auch New Jerseys Gouverneur Chris Christie, dem früheren Gehirnchirurgen Ben Carson, Trumps Ex-Widerdacher Ted Cruz, New Yorks Alt-Bürgermeister Rudy Giuilani und dem ehemaligen Sprecher des Repräsentantenhauses zu Bill Clintons Zeiten, Newt Gingrich, zugebilligt.

Weil auch große Unternehmen wie Coca Cola und Apple, sonst immer großzügige Sponsoren der „conventions“, wegen Trumps Propaganda ihr Engagement zurückgefahren haben und milliardenschwere Geldgeber wie die Koch-Brüder dem New Yorker die Unterstützung generell versagen, fürchtet die Partei zum Start der heißen Wahlkampfphase einen Rohrkrepierer. Nach offiziellen Zahlen hat Clinton derzeit rund 300 Millionen Dollar in der Wahlkampfkasse, Trump keine 60 Millionen.

Überschattet wird die Krönungsmesse in der Industriestadt am Ufer des Eriesees von den Ausläufern der Polizistenmorde von Dallas und vorausgegangener tödlicher Polizeieinsätze gegen Schwarze. Clevelands Vizepolizeichef Ed Tomba hat im Umland Verstärkung angefordert, um den Versammlungsort sicher zu machen. Rund 5000 Beamte werden im Einsatz sein.

Ausschreitungen und ziviler Ungehorsam erwartet

Diverse Gruppen haben Demonstrationen angekündigt. Einige, darunter militante Schwarze der „New Black Panther“, wollen von ihrem verfassungsmäßigen Recht Gebrauch machen und öffentlich Waffen tragen. Mit Ausschreitungen und zivilem Ungehorsam wird kalkuliert.

Wenigstens das ist bei den Demokraten, die in Philadelphia, sozusagen der Geburtsstadt der Vereinigten Staaten, ihre Kandidatin offiziell auf den Schild heben, nicht zu erwarten. Bernie Sanders, über Monate der hartnäckige und überaus erfolgreiche Widersacher der früheren First Lady, hat seine Niederlage am Dienstag in New Hampshire offiziell eingestanden und zum ersten Mal leidenschaftlich zur Wahl Clintons aufgerufen.

Seiner Empfehlung ging hinter den Kulissen langes Fingerhakeln um die Frage voraus, wie viel Sanders am Ende in Clinton stecken würde, sprich: wie viel von der linken Umverteilungsprogrammatik (höhere Steuern, kostenloses College, klare Kante gegen die Spekulanten der Wall Street etc.) des weißhaarigen Senators aus Vermont am Ende im Wahlprogramm der Kandidatin auftaucht.

Die schrittweise Anhebung des Mindestlohns auf 15 Dollar pro Stunde hat Sanders bereits untergebracht. Auch bei der Ausweitung der staatlichen Gesundheitsversorgung ist ihm das Clinton-Lager stark entgegengekommen. Es wird fortan von Sanders und seiner raubauzigen Rhetorik abhängen, ob es gelingt, seine Anhängerschar, in der Jungwähler dominieren, spätestens in vier Monaten auf Clintons Wahlkonto einzahlen zu lassen. Er selbst hat sich festgelegt: „Ich will alles tun, was ich kann, um sicherzustellen, dass sie die nächste Präsidentin wird.“

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