Beziehung zwischen Berlin und Ankara Von Böhmermann bis Yücel: Konflikte im deutsch-türkischen Verhältnis

Berlin/Ankara · Der mögliche Abzug deutscher Soldaten aus Incirlik wäre ein weiterer Tiefpunkt im deutsch-türkischen Verhältnis. Doch die Konflikte zwischen Berlin und Ankara schaukeln sich bereits seit Frühjahr 2016 immer wieder hoch.

 Vergiftete Beziehung: Bundeskanzlerin Merkel in SS-Uniform als „Frau Hitler“ auf dem Titel der türkischen Zeitung „Günes“.

Vergiftete Beziehung: Bundeskanzlerin Merkel in SS-Uniform als „Frau Hitler“ auf dem Titel der türkischen Zeitung „Günes“.

Foto: picture alliance / Linda Say/dpa
  1. Böhmermann: Den Beginn der sich immer weiter verschlechternden Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei kann man genau datieren. Es war der 31. März 2016, als der Satiriker Jan Böhmermann in seinem „Neo Magazin Royale“ das Schmähgedicht gegen den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan vortrug. Damals war das für die deutsche Flüchtlingspolitik so wichtige EU-Türkei-Abkommen gerade unter Dach und Fach. Die Kanzlerin, die wegen ihrer Flüchtlingspolitik innenpolitisch schwer unter Druck stand und auf das Funktionieren des Abkommens bis heute angewiesen ist, sprach in einer ersten Reaktion von einem „bewusst verletzenden“ Gedicht. Danach überließ die Bundesregierung die Bewertung des Falls der Justiz.
  2. Armenienresolution: Nur wenige Wochen später im Juni 2016 verabschiedete der Bundestag eine Resolution, in der das Vorgehen der Türken 1916 gegen die Armenier als „Völkermord“ bezeichnet wurde. Die Türkei war empört. Später distanzierte sich die Bundesregierung von der Resolution. Infolge des Streits hatten erstmals deutsche Bundestagsabgeordnete Schwierigkeiten, nach Incirlik zu reisen. Deutsch-türkische Parlamentarier wie Grünen-Chef Cem Özdemir, der die Resolution inszeniert hatte, können seitdem gar nicht mehr in die Türkei reisen. Zu groß ist die Gefahr, dass sie als Staatsfeinde behandelt werden.
  3. Putschversuch: Präsident Erdogan vermisste nach dem Putschversuch seiner Militärs im Juli 2016 schnelle und echte Solidarität der Europäer im Allgemeinen und der Deutschen im Besonderen. Auch werfen die Türken Deutschland vor, es schütze Anhänger der Gülen-Bewegung, die Erdogan für den Putsch verantwortlich macht. Schon länger wirft die türkische Regierung Deutschland vor, nicht ernsthaft gegen PKK-Mitglieder vorzugehen. Die Beziehungen belastet auch, dass Deutschland die Kurden im Irak im Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) mit Waffen ausgestattet hat. Die Türkei fürchtet, dass erstarkende Kurden den Versuch unternehmen werden, einen eigenen kurdischen Staat zu gründen.
  4. Deniz Yücel: Über die Konsequenzen aus dem Putschversuch sowie über Fragen von Meinungsfreiheit und Menschenrechten gerieten im November 2016 der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu und der damalige deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier bei seinem Besuch in der Türkei in Streit. Steinmeier kritisierte bei einer Pressekonferenz die Verhaftungswellen in der Türkei. Unter den Journalisten: „Welt“-Korrespondent Deniz Yücel. Im folgenden Februar wurde Yücel verhaftet. Die Vorwürfe: Terrorpropaganda und Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation. Die Forderungen der deutschen Regierung nach einer Freilassung Yücels verhallen seither.
  5. Verfassungsreferendum: Einen weiteren Tiefpunkt erlitten die deutsch-türkischen Beziehungen im Vorfeld des Verfassungsreferendums in der Türkei Mitte April. Erdogan plante dafür einen massiven Wahlkampf in Deutschland. Nach deutschen Gesetzen gibt es verschiedene Möglichkeiten, solche Wahlkampfauftritte zu unterbinden. Einige Kommunen machten davon Gebrauch. Die teilweise Verweigerung von Auftritten türkischer Politiker in Deutschland führte zur nächsten diplomatischen Krise. Erdogan stellte Merkel und die deutsche Regierung mehrfach in den Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus. Die deutsche Regierung wies dies scharf zurück.
  6. Perspektive: Es ist wahrscheinlich, dass trotz des mittlerweile miserablen deutsch-türkischen Verhältnisses das EU-Türkei-Abkommen hält. Angesichts der schlechten konjunkturellen Lage in der Türkei sind die Zahlungen der EU sehr willkommen. Für den Umgang der Deutsch-Türken und der Einheimischen in Deutschland miteinander sind die schlechten Beziehungen eine Hypothek. Die Konflikte werden auch im Alltag ausgetragen.
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