UN-Bericht zur menschlichen Entwicklung Ungleichheit der Geschlechter bremst Wohlstand

Bonn · Der UN-Bericht zur menschlichen Entwicklung sieht zwar Fortschritte, prangert aber vor allem Diskriminierung an. Der Wirtschaftswissenschaftler Selim Jahan gibt einen Lösungsvorschlag.

 Eine Fahne der Vereinten Nationen weht in Bonn. (Archivbild)

Eine Fahne der Vereinten Nationen weht in Bonn. (Archivbild)

Foto: picture alliance / dpa

Nein, zur Politik und Weltsicht von US-Präsident Donald Trump will sich Selim Jahan nicht äußern. Der Wirtschaftswissenschaftler aus Bangladesch verantwortet den jährlich erscheinenden Bericht der Vereinten Nationen (UN) über die menschliche Entwicklung, der sich „Universalismus“ als Leitwert gegeben hat. „Die Globalisierung lässt sich nicht mehr zurückdrehen“, sagt Jahan am Dienstag bei der Vorstellung des Berichts 2016 in Bonn. Der weltumspannende Handel etwa habe zweifelsohne einstmals arme Regionen ökonomisch vorangebracht. Nur komme der Wohlstand nicht allen Bevölkerungsgruppen gleichermaßen zugute.

Das Besondere am UN-Bericht zur menschlichen Entwicklung ist, dass er die 193 untersuchten Staaten nicht nur nach der Wirtschaftskraft beurteilt, sondern auch Lebenserwartung, Bildungschancen und die gesundheitliche Versorgung misst. Alle Indikatoren zusammen ergeben den Entwicklungsindex pro Land. An der Spitze steht wie schon in den Vorjahren Norwegen, gefolgt von Au-stralien und der Schweiz. Rang vier nimmt Deutschland ein. Am unteren Ende der Skala finden sich die meisten Länder südlich der Sahara wieder: der Südsudan etwa auf Platz 181. Das Schlusslicht bildet Zentralafrika.

Mehr noch als um die Rangfolge geht es dem Ökonomen Jahan aber um die Verhältnisse in den Ländern selbst. Zwar habe es in den vergangenen 25 Jahren enorme Fortschritte gegeben, berichtet er. So sei der Entwicklungsindex in den ärmsten Ländern um 45 Prozent gestiegen, der globale Index um 20 Prozent. Das verdeckt aus seiner Sicht aber, dass in allen Gesellschaften mehr oder minder stark Frauen, ethnische Minderheiten, Flüchtlinge und Menschen mit anderen sexuellen Orientierungen wie Homosexuelle auf rechtliche, kulturelle und soziale Barrieren stoßen. Diese Ungleichheiten sind am größten in Ländern mit niedrigem Entwicklungsindex. Im Umkehrschluss heißt das für Jahan: „Der Fortschritt von Frauen muss schneller werden als der allgemeine Fortschritt.“

Kleine Lichtblicke in muslimischen Ländern: Bei den Olympischen Spielen im vergangenen Jahr nahm erstmals eine Athletin aus dem Iran teil. Das sei vor fünf Jahren noch undenkbar gewesen, so Jahan. Am Montag sei ein Jumbojet einer ägyptischen Fluglinie in Kairo gelandet, der ausschließlich von einer weiblichen Crew inklusive Pilotin und Erster Offizierin gesteuert wurde. In den Vereinigten Arabischen Emiraten seien in den Studienfächern Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik 38 Prozent der Absolventen Frauen, weltweit seien es nur 28 Prozent. In Katar dürften Frauen in den Kommunen inzwischen politische Mandate und Ämter übernehmen. „Vor 20 Jahren war es noch sehr schwierig, in diesen Ländern überhaupt auf die Geschlechter heruntergebrochene Daten zu bekommen“, sagt Jahan.

Und doch ist der Fortschritt eine Schnecke. Die Missstände sind weiterhin erschreckend: Über 200 Millionen Frauen und Mädchen leben mit einer Genitalverstümmelung. In Südasien und Lateinamerika werden Frauen immer wieder Opfer von Säureanschlägen. „Häusliche Gewalt ist in allen Ländern und Gesellschaftsschichten eine Realität, über die wir reden müssen, weil sie Frauen erleiden.“ Jahans Rat: „Das Verhalten von Männern bestimmt die Realität von Frauen. Hier müssen wir ansetzen und es ändern.“ Es gibt viel zu tun. Wie schon gesagt: Zu Trump wollte er sich nicht äußern.

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