EU-Gipfeltreffen "Sanktionen, die richtig wehtun"

Brüssel · Wenn Russland nicht binnen einer Woche auf Entspannungskurs geht, will die EU das Land wegen des Ukraine-Konfliktes schärfer bestrafen.

 Putins Welt: Der russische Präsident hält einen Globus hoch, auf dem das russische Territorium rosa eingefärbt ist.

Putins Welt: Der russische Präsident hält einen Globus hoch, auf dem das russische Territorium rosa eingefärbt ist.

Foto: ap

Am Montagmorgen könnte José Manuel Barroso beginnen, Geschichte zu schreiben. Denn der noch amtierende Präsident der Europäischen Kommission wird seinen engsten Beratern jenen delikaten Auftrag erteilen, zu dem ihn die 28 Staats- und Regierungschefs bei ihrem Sondergipfeltreffen am Samstag ermächtig haben: Strafen gegen Russland ausarbeiten.

Maßnahmen der so genannten Stufe 3, die "richtig wehtun", wie der estnische Außenminister Urmas Paet am Wochenende ausdrückte. "Neue Sanktionen", wie es Bundeskanzlerin Angela Merkel am frühen Sonntagmorgen formulierte, als das mit Spannung erwartete Treffen nach fast achtstündigen Diskussionen zu Ende ging.

Was damit gemeint ist, deutete die deutsche Regierungschefin nur an: Es werde sich um Schritte innerhalb der Bereiche handeln, die schon bisher getroffen wurden. Also Einschränkungen bei Im- und Export von Hochtechnologie. Der Zugang russischer Banken zum Finanzmarkt könnte noch stärker gedrosselt werden, als das schon seit dem EU-Gipfel Mitte Juli der Fall ist.

Möglicherweise wird die Union auch den Export russischer Luxusgüter wie Kaviar und Diamanten stoppen. Zur schärfsten Waffe der Gemeinschaft aber sollen Eingriffe im Energiesektor werden, um Moskaus lukrative Milliardeneinnahmen zu schmälern. Das war vor diesem Wochenende umstritten - und bleibt es auch weiter.

Zu groß ist die Abhängigkeit vieler EU-Staaten im Osten von russischem Öl und Gas. "Wir werden bedeutsame Schritte beschließen", resümierte Ratspräsident Herman Van Rompuy dennoch nach dem Gipfel die Gespräche. Das alles soll binnen einer Woche passieren.

"Wenn der Zustand von heute anhält oder die Verschärfung so weitergeht, dann gibt es Beratungen über neue Strafmaßnahmen", unterstrich Merkel. Intern heißt es, man wolle möglicherweise noch vor dem Nato-Gipfel in Wales, der am Donnerstag beginnt, zu Beschlüssen kommen. Barroso und seine Experten müssen sich beeilen.

Tatsächlich scheint die Geduld der Europäer am Ende. "Es ist völlig inakzeptabel, dass sich russische Soldaten auf ukrainischem Boden befinden", sprach Großbritanniens Premier David Cameron aus, was alle dachten. Die litauische Ministerpräsidentin und frühere EU-Kommissarin Dalia Grybauskaite ging sogar noch weiter: "Russland befindet sich praktisch im Krieg gegen Europa", meinte sie.

Doch nicht alle wollten ihr so weit folgen. Mehr noch. Auch der ukrainische Präsident Petro Poroschenko konnte sich in Brüssel zwar jede Menge Solidaritätsadressen abholen, bekam aber zu spüren, dass der Westen keineswegs bereit ist, uneingeschränkt allen Forderungen und Erwartungen Kiews zu folgen. Seine Bitte nach Waffenlieferungen wurde von einer Mehrheit der 28 Staats- und Regierungschefs zurückgewiesen.

"Deutschland wird jedenfalls keine militärischen Güter liefern", betonte die Kanzlerin. Zugleich schränkte sie ein: "Ich kann hier nicht für alle sprechen." Bei der Nato schreckt man ebenfalls zwar nicht vor scharfen Worten, wohl aber vor Handlungen zurück, die die ohnehin angespannte Lage eskalieren lassen könnten: Nachdem der ukrainische Regierungschef Arseni Jazenjuk offen von einer Aufnahme Kiews in die Allianz gesprochen hatte, erteilte Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen am Wochenende solchen Spekulationen eine Absage.

Auch wenn Poroschenko schon fast inständig beschwor, man stehe "sehr kurz vor einem Punkt ohne Wiederkehr" und es gebe bereits irreparable Schäden im Osten seines Landes, wollten weder das Bündnis noch die EU weiteres Öl ins Feuer gießen. "Der russische Präsident Wladimir Putin sollte sich dennoch nicht täuschen", sagte nach dem Gipfeltreffen ein hoher EU-Diplomat. "Wir werden nicht länger tatenlos zusehen. Wenn er nichts tut, kommt es zu Maßnahmen, die seinem Land schaden." Die EU-Mitgliedstaaten sind jetzt bereit, über die bisher verhängten Einreiseverbote und Kontensperrungen hinauszugehen. Und sie bekamen prompt heftigen Beifall und Rückendeckung.

In Washington betonte eine Sprecherin des amerikanischen Präsidenten Barack Obama, die USA würden zusätzlich neue Sanktionen vorbereiten. Und bei der Nato denkt man, wie am Wochenende bekannt wurde, offenbar bereits über sehr viel weitergehende Schritte nach. Beim Gipfeltreffen der Allianz in der kommenden Woche liegt demnach ein Plan auf dem Tisch, in den drei baltischen Staaten sowie Polen und Rumänien fünf neue Stützpunkte mit jeweils 300 bis 600 Soldaten aufzubauen. Sie sollen zwar zunächst nur die Lage beobachten, im Ernstfall aber auch Einsätze führen können.

Deutschland beteiligt sich von diesem Montag an mit sechs Kampfflugzeugen an der Nato-Luftraumüberwachung über dem Baltikum. Der viermonatige Einsatz der "Eurofighter" ist eine Reaktion auf die Ukraine-Krise. Bereits im Frühjahr war die Zahl der über Estland, Lettland und Litauen eingesetzten Flieger von vier auf 16 aufgestockt worden.

Damit will die Nato ein Zeichen der Solidarität mit ihren östlichen Mitgliedstaaten setzen, die sich angesichts der Annexion der Krim durch Russland und der Kämpfe in der Ostukraine von Russland bedroht fühlen. Die drei baltischen Länder grenzen an Russland und haben einen hohen russischen Bevölkerungsanteil.

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