Kriegsoffensive "Operation Olivenzweig" Milizen plündern in Afrin

Istanbul · Obwohl die türkische Armee die syrische Stadt nach eigenen Angaben erobert hat, dauern die Kämpfe noch weiter an. Außerdem berichten Bewohner von Plünderungen durch die Türkei-treue Miliz FSA. Die EU kritisiert Ankara.

Als strahlender Erfolg erscheint in den türkischen Medien und den Bulletins der türkischen Armee aus Afrin die Eroberung der nordsyrischen Stadt: Die türkische Fahne wehe über den Regierungsgebäuden, die Ordnung in der Stadt sei wieder hergestellt, die Kurdenkämpfer der Miliz YPG seien geflohen. „Afrin ist endlich blitzsauber“, verkündete die Zeitung „Milliyet“ am Montag. Doch die Wirklichkeit sieht wohl anders aus. Bewohner berichten von Plünderungen, mehr als 200.000 Menschen sind auf der Flucht, die EU kritisiert eine Woche vor einem geplanten Gipfeltreffen mit Präsident Recep Tayyip Erdogan das türkische Vorgehen in Syrien. Kritiker werfen Ankara bereits vor, syrische Grenzgebiete de facto zu annektieren.

Trotz der türkischen Siegesmeldungen sind die Auseinandersetzungen zwischen der türkischen Armee und der pro-türkischen Miliz FSA mit der YPG in Afrin offenbar noch nicht vorbei. Die YPG kündigte einen Guerrilla-Krieg an, der für die Türken zum „Alptraum“ werden soll.

Bewohner der Stadt und die unabhängige Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte berichteten, Kämpfer der FSA hätten viele Geschäfte und Wohnhäuser geplündert. Fotos und Videos zeigten bewaffnete Männer, die körbeweise Beute aus Häusern trugen. Die FSA bestätigte die Plünderungen, erklärte aber, es handele sich um die Taten von Banditen, denen Einhalt geboten werde.

Wie lange die türkische Armee in Afrin bleiben wird, ist noch offen. An eine dauerhafte Truppenpräsenz im Nachbarland werde aber nicht gedacht, sagte Regierungssprecher Bekir Bozdag. Ein rascher Rückzug ist damit wohl ausgeschlossen, zumal der Afrin-Feldzug in der türkischen Öffentlichkeit breite Unterstützung genießt.

Syrer aus der Türkei nach Afrin umsiedeln

Was die kommenden Monate für Afrin bringen könnten, lässt sich möglicherweise an der Entwicklung in der weiter östlich gelegenen Stadt Dscharablus ablesen, die 2016 das Ziel einer türkischen Intervention war. Seitdem sind nach türkischen Angaben rund 140.000 Syrer aus der Türkei nach Dscharablus gezogen. Die Stadt wurde an das türkische Stromnetz angeschlossen und wird von Polizeikräften gesichert, die von der Türkei ausgebildet und ausgerüstet worden sind.

Türkische Nationalisten fordern bereits, die Armee solle ihren Feldzug fortsetzen und – wie von Erdogan angekündigt – die als Ableger der Terrororganisation PKK betrachtete YPG aus dem gesamten Norden Syriens bis hin zur irakischen Grenze vertreiben. Dies würde erhebliche Spannungen mit Russland und den USA provozieren. Nach einer Vereinbarung zwischen den Supermächten steht das syrische Gebiet westlich des Euphrat unter russischer Kontrolle, während östlich des Stroms die USA das Sagen haben.

Auch die Beziehungen der Türkei zu Europa werden durch die Intervention in Syrien belastet. Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini sagte, sie sei wegen des türkischen Vorgehens im Norden Syriens besorgt. Schließlich sollten internationale Bemühungen in Syrien zur Beruhigung der Lage in dem Bürgerkriegsland beitragen, und nicht zu einer weiteren Eskalation. In den vergangenen Tagen hatte die Türkei verärgert auf einen Appell des EU-Parlaments zur Einstellung der Kämpfe in Afrin reagiert: Damit stelle sich Europa auf die Seite der Terroristen, erklärte Ankara.

Neuer Streit ist absehbar. Die türkische Strategie für Nord-Syrien zielt darauf ab, die Entstehung eines kurdischen Autonomie-Gürtels entlang der Südgrenze des Landes zu verhindern. Nach Vertreibung der YPG könnten in Afrin wie bereits in Dscharablus syrische Flüchtlinge angesiedelt werden, um die Zahl der rund 3,5 Millionen Syrer in der Türkei zu senken.

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