Britische Regierungschefin unter Druck Labour-Chef Corbyn strebt Zollunion mit der EU an

London · Corbyn stellt sich mit seiner Rede, in der er davon spricht, eine Zollunion mit der Europäischen Union anzustreben gegen Premierministerin Theresa May. Sie gerät damit zwischen die Fronten.

Nach Monaten des Lavierens geht die britische Labour-Partei in die Opposition zum harten Brexit. Labour-Chef Jeremy Corbyn erklärte in einer Rede am Montag, dass er eine Zollunion mit der Europäischen Union anstrebt. Damit stellt Corbyn sich erstmals offen gegen Premierministerin Theresa May, die wiederholt einen britischen Verbleib im Binnenmarkt oder in der Zollunion kategorisch ausgeschlossen hatte und einen harten Schnitt mit der EU will. Nach Corbyns Festlegung gibt es jetzt im Parlament eine Mehrheit für einen weichen Brexit, denn eine Reihe von Abgeordneten der Konservativen haben schon erklärt, gemeinsam mit der Opposition für eine Zollunion stimmen zu wollen. Das könnte entweder die Premierministerin zu Fall bringen oder eine Richtungsänderung der Regierung erzwingen.

Labour beabsichtige, so Corbyn, „eine neue umfassende Zollunion zwischen Großbritannien und der EU zu verhandeln, um sicher zu stellen, dass es keine Zölle mit Europa gibt und es zu keiner harten Grenze in Nordirland kommt“. Eine Zollunion erlaubt ihren Mitgliedern den zollfreien Handel innerhalb der Union und erhebt einen gemeinsamen Außentarif für Waren, die aus Drittländern importiert werden. Handelsabkommen mit Drittstaaten kann nur die EU abschließen, einzelne Mitglieder können dies nicht. Corbyn forderte allerdings hier ein britisches Mitspracherecht, wenn künftige Freihandelsabkommen zur Verhandlung stehen.

Im Interesse des Volkes

Viele Labour-Abgeordnete hätten sich von ihrem Chef einen radikaleren Schritt – soll heißen: einen Verbleib im Binnenmarkt – gewünscht. Doch soweit möchte Corbyn nicht gehen. Er will sich die Freiheit erhalten, eine ambitionierte eigenständige Wirtschaftspolitik zu betreiben mit der Möglichkeit von Staatshilfen für Unternehmen und der teilweisen Einschränkung der Freizügigkeit, was bei einem Verbleib im Binnenmarkt nicht möglich wäre. Er nannte als Beispiel die Entsendungsrichtlinie, die er ablehnt, weil sie in Großbritannien ein Lohndumping ermöglicht habe.

„Ich appelliere an die Abgeordneten aller Parteien“, rief der Labour-Chef, „denen das Interesse des Volkes wichtiger ist als ideologische Fantasien, uns bei der Option einer neuen Zollunion mit der EU zu unterstützen.“ Damit sprach er diejenigen Volksvertreter in der Konservativen Partei an, die den harten Schnitt fürchten. Kurz nach Corbyns Rede kam allerdings postwendend die Antwort aus der Downing Street. Theresa Mays Sprecher bekräftigte, dass die Regierung keinesfalls einen Verbleib in der Zollunion anstrebt.

May stellt Zollpartnerschaft vor

Damit ist eine Situation entstanden, in der May jetzt zwischen alle Stühle gerät. Auf der einen Seite macht Labour gemeinsame Sache mit den Europafreunden unter den Konservativen und wird versuchen, spätestens im Mai, wenn das neue Handelsgesetz zur Abstimmung kommt, einen Zusatz zur Zollunion durchs Haus zu bringen. Auf der anderen Seite sieht sie sich mit den Brexit-Hardlinern in ihrer eigenen Fraktion konfrontiert, die eine Aufweichung ihrer bisher harten Position rigoros ablehnen. Sollte die Premierministerin einlenken, so deren Drohung, würde man sie stürzen.

Vorerst wird May bei ihrer Position bleiben. Am kommenden Freitag will sie eine Grundsatzrede über die künftige Handelsbeziehung zur EU halten und keine Zollunion, sondern eine sogenannte Zoll-Partnerschaft vorstellen, wonach die Anbindung an Brüssel je nach Wirtschaftssektor sehr eng sein, mäßig eng sein oder gar nicht stattfinden soll.

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