Hitler im Baskenland Die Auslöschung von Guernica durch die Legion Condor

Vor 80 Jahren, an einem Markttag im April, löscht Hitlers geheime Legion Condor die heilige Stadt der Basken aus. Als Picasso davon hört, setzt er sich vor eine gigantische Leinwand und malt „Guernica“.

 Totale Zerstörung vor dem totalen Krieg: Die baskische Stadt Guernica nach dem dreistündigen Bombardement.

Totale Zerstörung vor dem totalen Krieg: Die baskische Stadt Guernica nach dem dreistündigen Bombardement.

Foto: picture alliance / dpa

In der heiligen Stadt der Basken ist montags Markttag. Hunderte Bauern aus der Umgebung strömen deshalb am Morgen des 26. April 1937 wie jeden Montag mit ihren von Eseln und Maultieren gezogenen Karren aus den Bergen zu Tal, um ihre Waren feilzubieten. Die engen Gassen sind an diesem sonnigen Frühlingstag aus einem weiteren Grund voller Menschen: Mehr als 3000 Flüchtlinge hat der Krieg der aufständischen Generäle gegen die spanische Republik vor sich hergetrieben.

Viele hat der Hunger, die Obdachlosigkeit, die schiere Verzweiflung in die 6000-Einwohner-Kleinstadt am nördlichen Rand der Iberischen Halbinsel nahe der französischen Grenze geführt; andere die Angst vor politischer Verfolgung, vor Gefängnis, Folter, Tod.

Gegen 11 Uhr erscheint eine zweimotorige Heinkel am wolkenlosen Himmel über Guernica. Das Brummen der deutschen Militärmaschine ist unüberhörbar. Paco Lazcano, Beauftragter der baskischen Regionalregierung und erst seit einem Tag im Amt, ahnt, was ein deutsches Aufklärungsflugzeug am Himmel über Guernica bedeuten könnte: Hitlers und Mussolinis Amtshilfe für den Putschisten Franco.

Paco verständigt also die Beobachter oben in den Bergen, ferner die Männer mit den roten Warnflaggen auf der Rentería-Brücke sowie den Priester an der Sturmglocke im Kirchturm. Über mehr Kräfte verfügt er nicht. Paco kann auch nicht ahnen, was fünf Stunden später über sie hereinbrechen wird. Weil es das noch nie in der Menschheitsgeschichte gegeben hat: die erste planmäßige und völlige Zerstörung einer Stadt aus der Luft.

40 Tonnen Bomben auf eine Kleinstadt

Der schier endlos erscheinende Strom der Flugzeuge am Himmel (53 sind es insgesamt), das Dröhnen der Motoren, das teuflische Pfeifen der vom Himmel fallenden Bomben – insgesamt 40 Tonnen Sprengbomben, Splitterbomben, Brandbomben. Die Explosionen lassen die Stadt im Sekundentakt erbeben, Druckwellen wälzen sich durch die Straßen und rauben die Luft zum Atmen. Es gibt keine Luftabwehr, es gibt keine Bunker, es gibt kein Entkommen.

Gespenstische Stille. Die Bomber sind weg. Die ersten Menschen trauen sich aus den Hauseingängen, in die sie sich zuvor in Todesangst gedrückt haben. Doch es ist noch nicht vorbei. „Dann kamen die Jäger“, erinnert sich Paco Lazcano später. „Sie stießen hinab und schossen mit ihren Maschinengewehren auf alles, was sich bewegte. Sie machten systematisch Jagd auf Menschen.“ Als nach dreistündigem Dauerangriff am Abend des 26. April 1937 die Sonne untergeht, wird es in Guernica nicht dunkel. Die Stadt brennt. Die ganze Nacht. Der Widerstand der Basken bricht unter dem völkerrechtswidrigen Einsatz der deutschen und italienischen Luftwaffe zusammen.

Zwei Tage später marschieren Francos Milizen in die tote Stadt. Hitlers Legion Condor und Mussolinis Corpo Truppe Volontarie zerstören nicht nur die Heimat von 6000 Menschen. Gernika (spanisch: Guernica) ist die heilige Stadt der ältesten Demokratie Westeuropas, das symbolträchtige Zentrum baskischer Kultur. Bürgermeister Eduardo Vallejo notiert: „Guernica wurde nicht berühmt, weil es bombardiert wurde. Guernica wurde bombardiert, weil es berühmt war.“

"In Guernica leben die glücklichsten Menschen"

Seit dem Mittelalter versammelte sich dort der Ältestenrat im Schatten einer Eiche. Und die kastilischen Könige schworen unter der Eiche von Gernika, die Autonomie der Basken zu achten und zu wahren. Der französische Philosoph Jean-Jacques Rousseau (1712-1778) notierte beeindruckt: „In Guernica leben die glücklichsten Menschen. Ihre Angelegenheiten regeln sie durch eine Körperschaft von Bauern unter einer Eiche, und stets verhalten sie sich klug.“

Die demokratischen Regierungen dieser Welt schweigen zum mörderischen Überfall auf Guernica, ignorieren (außer Mexiko) den fast dreijährigen Krieg, der 600.000 Menschen das Leben kostet. Tausende Spanier verlieren ihr Leben noch anschließend, in Francos neuem Staat, der die Autonomierechte der Basken mit Füßen tritt und deren Sprache verbietet.

Für Hitler ist Spanien der ideale Truppenübungsplatz, um seine junge Luftwaffe zu testen. Die Generalprobe für den Zweiten Weltkrieg. Seine Legion Condor ist ein ebenso elitärer wie geheimer Freiwilligen-Verband, denn offiziell befindet sich Deutschland nicht im Krieg. Hitlers freiwillige Legionäre verdienen in Spanien gut: Jeder erhält für die Dauer des Aufenthaltes die monatlichen Bezüge des nächsthöheren Dienstgrads plus 1000 Reichsmark. Kost und Logis frei – nicht in schäbigen Kasernen, sondern in den besten Hotels.

Kommandant von Richthofen macht Karriere

Viele lockt aber nicht nur das Geld, sondern auch die Mission: Spanien von „den Roten“ befreien. Dass das spanische Volk „die Roten“ zuvor in einem demokratischen Akt ins Madrider Parlament wählte, dass die autonome Region Baskenland hingegen wie eh und je konservativ-katholisch wählt, beirrt die deutschen Elitesoldaten nicht weiter.

Der Kommandant des verbrecherischen Luftangriffs auf Guernica, Wolfram Freiherr von Richthofen, macht anschließend Karriere und wird Deutschlands jüngster Feldmarschall. Nach einer Ortsbesichtigung am 30. April, dem Tag der Einnahme der Stadt durch Francos Milizen, schreibt er in sein Tagebuch: „Buchstäblich dem Erdboden gleichgemacht. Einfach toll.“

Rührte sich bei ihm später so etwas wie schlechtes Gewissen? Einen Monat nach dem Angriff schreibt er an einen Freund: „Ich hatte mich bei Guernica wohl etwas rüpelhaft benommen!“ Nicht nur er, viele Freiwillige der Legion Condor machen anschließend in der Wehrmacht Karriere. Politisch schlichte Gemüter – aber arische Herrenmenschen, überzeugt und berauscht von ihrer Unfehlbarkeit. Leute wie Hans Wandel. Bevor der blutjunge deutsche Pilot seine Maschine besteigt, um mit seinen Kameraden Guernica auszulöschen, schreibt er in sein Tagebuch: „Ein Gefühl unbeschränkter Macht. Es ist die absolute Erregung und Befriedigung.“

Picasso tut sich schwer - bis der Angriff kommt

Schon im Jahr zuvor hat die republikanische Regierung in Madrid ihren in Frankreich lebenden Landsmann Pablo Ruiz Picasso gebeten, für den spanischen Pavillon der Pariser Weltausstellung 1937 ein im Wortsinne großes Werk beizusteuern. 3,49 mal 7,77 Meter misst die noch makellos weiße Leinwand in Picassos Pariser Atelier. Aber der Maler tut sich schwer mit der vagen Bildidee in seinem Kopf, die er „Maler und Modell“ nennt und erst eine Woche zuvor grob skizziert hat.

Als ihn die Nachricht von der Tragödie im Baskenland erreicht, verwirft er die Idee, macht sich augenblicklich an die Arbeit – und malt „Guernica“; zum Gedenken an die fast 2000 Todesopfer des Bombardements – und als zeitloses Mahnmal gegen Krieg und Gewalt. Seine Geliebte Dora Maar fotografiert in Picassos Atelier, wie „Guernica“ Schritt für Schritt aus Skizzen und Entwürfen entsteht, wie die Mutter ihr totes Kind emporhebt und sich der Kopf des sterbenden Pferdes verrenkt.

Nach dem Ende der Pariser Weltausstellung geht „Guernica“ auf Tournee durch Skandinavien, Großbritannien und die USA. Die Einnahmen aus den Eintrittsgeldern spendet Picasso einer Stiftung für die Opfer des Bürgerkrieges. Da der Maler das Werk einer künftigen spanischen Demokratie vermacht und verfügt, dass es während der Diktatur in Spanien nicht gezeigt werden darf, bleibt es fast ein halbes Jahrhundert lang im Museum of Modern Art in New York.

Der häufige Transport hat dem Bild geschadet

Erst nach dem Tod Francos und der Wiederbelebung der Demokratie wird das Bild 1981 nach Madrid gebracht, zunächst in den Prado, 1992 ins Museo Reina Sofía. Der häufige Transport im Lauf der Jahrzehnte, das ständige Aufrollen und Entrollen der 27 Quadratmeter großen Leinwand haben dem Gemälde erheblich geschadet. Es darf deshalb nicht mehr ausgeliehen werden, um weitere Schäden zu vermeiden.

Als US-Außenminister Colin Powell am 5. Februar 2003 vor den Medien der Welt im New Yorker UN-Gebäude Präsident George W. Bushs Kriegspläne gegen den Irak erläutert, soll die Welt eines nicht sehen: Picassos „Guernica“, das seit 1985 als Kopie vor dem Sitzungssaal des Sicherheitsrats hängt. Das Bild bleibt für die Dauer der Pressekonferenz von einem blauen Vorhang mit UN-Logos verhüllt. Man will Powell nicht zumuten, vor laufenden Kameras über Kriegspläne (und die verlogenen Gründe) zu reden, während im Hintergrund schreiende und sterbende Frauen, Kinder und Tiere zu sehen sind.

Auch Wolfram von Richthofen bemühte falsche Fakten als Legitimation für den Angriff: In der Stadt befänden sich 23 baskische Bataillone. In Wahrheit befand sich kein einziger Soldat in Guernica. Erst 60 Jahre später sprach Bundespräsident Roman Herzog eine Entschuldigung Deutschlands aus.

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