Nach dem Brexit-Votum 2018 läuft die Zeit für die Briten ab

Auf dem vorerst letzten Gipfel der 28 EU-Mitglieder wollen sich die Staats- und Regierungschefs auf die Details eines Austritts verständigen. Bislang gibt es aber wenig Konkretes.

Das „Familienfoto“ gehört als fester Bestandteil zu jedem Europäischen Gipfel. Doch das Bild, das die Hoffotografen der EU am heutigen Dienstagabend schießen, dürfte historischen Wert haben: Zum letzten Mal wird David Cameron in dieser Runde stehen. Und ebenfalls zum möglicherweise letzten Mal für lange Zeit werden es 28 Staats- und Regierungschefs sein, die sich vor den Fahnen der EU und der Mitgliedstaaten aufstellen. Denn nach der Sitzung am Abend verabschiedet Ratspräsident Donald Tusk den britischen Premier.

Zum Abschied gibt es kein Geschenk, sondern einen Auftrag: Die Union möchte, dass das Austrittsverfahren bis zum 31. Dezember 2018 abgeschlossen ist. Rechtzeitig vor den nächsten Europawahlen 2019 und den dann fälligen Beratungen über den finanziellen Handlungsrahmen der Gemeinschaft für die folgenden sieben Jahre soll der Brexit vollzogen sein. Bei einer geschätzten Verhandlungszeit für alle Fragen rund um das Ende der britischen Mitgliedschaft müssten die beiden ehemaligen Partner Brüssel und London also spätestens am Ende dieses Jahres mit dem Scheidungsverfahren beginnen.

Berlin, Paris, Madrid, Rom, Warschau – aus allen Regierungshauptstädten wurde gestern betont, dass es „keine Verzögerungen“ geben solle. Die Brüsseler Kommission unter ihrem Präsidenten Jean-Claude Juncker verabschiedete am gestrigen Nachmittag bereits einen Vorschlag für die Leitlinien des Brexit-Abkommens. Keinen Zweifel gibt es auch, dass das Europäische Parlament am heutigen Dienstagvormittag in einer Resolution rasche Verhandlungen fordern wird, nachdem sich der Präsident der Abgeordnetenkammer, Martin Schulz, bereits am Wochenende gegen jedes „Zögern und Zaudern“ ausgesprochen hatte.

Zwar haben Christ- und Sozialdemokraten ebenso wie Grüne und Liberale schon Einigkeit über den Text hergestellt. Dennoch scheint ein Eklat denkbar, nachdem der Brexit-Befürworter und Chef der rechtspopulistischen Ukip-Partei, Nigel Farage, offenbar noch einmal das Wort ergreifen will – möglicherweise, um anschließend und für immer endgültig mit seinen 21 Parteifreunden das Abgeordnetenhaus zu verlassen.

Doch sicher war gestern noch nichts. In den Kreisen der diplomatischen Vertreter der 27 Mitgliedstaaten ging niemand davon aus, dass der scheidende britische Premier heute schon das offizielle Austrittsgesuch nach Artikel 50 vorlegt. „Ich würde nicht ausschließen, und das ist meine persönliche Überzeugung, dass sie es vielleicht nie tun werden“, hatte ein hochrangiger Diplomat am Wochenende in Brüssel die Zweifel zusammengefasst. Der Hintergrund: Auch in Großbritannien bindet eine Volksabstimmung rechtlich nicht. Das Unterhaus könnte das Ergebnis übergehen. Allerdings hatte Cameron schon vorab gesagt, er werde das Votum respektieren. Doch ob das auch für seine Nachfolger gilt?

Der EU-Gipfel, der bis zum Mittwoch dauert und morgen nur noch als 27er Runde tagt, wird jedenfalls in Sachen Brexit wohl nur wenig Konkretes beschließen können. Dafür habe man allerdings „alle Hände voll zu tun “, ließ ein Mitarbeiter von Ratspräsident Tusk gestern durchblicken, um die aufbrechenden Fronten zusammenzuhalten. Die Vertreter der östliche Visegrad-Staaten Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn beschwerten sich am Montag bereits über das Treffen, das Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier mit seinen Amtskollegen der sechs EU-Gründerstaaten am Samstag in Berlin veranstaltet hatte. Und auch die neu belebte Achse Berlin-Paris-Rom, die am Montag in Berlin auf Einladung der Bundeskanzlerin zusammenkam, gefällt nicht jedem. „Niemand will ausgeschlossen werden“, hieß es in Brüssel. „Die Zukunft Europas geht schließlich alle etwas an.“

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