Kommentar zur Rolle des Irans im Nahen Osten Übertriebene Furcht

Meinung · Das Ende der Atomsanktionen und der Rückzug der USA aus den Konfliktgebieten im Nahen Osten eröffnen Teheran neue Möglichkeiten. In der Region ist das Misstrauen gegenüber dem Iran groß. Doch seine Möglichkeiten werden oft überschätzt.

 In einem von Regierungstruppen gehaltenen Viertel von Aleppo steigt nach einem Granatenangriff von Rebellen Rauch auf. Kaum ist die Feuerpause beendet, wird wieder erbittert gekämpft.

In einem von Regierungstruppen gehaltenen Viertel von Aleppo steigt nach einem Granatenangriff von Rebellen Rauch auf. Kaum ist die Feuerpause beendet, wird wieder erbittert gekämpft.

Foto: AFP

Eine junge Bevölkerung von 80 Millionen Menschen, große wirtschaftliche Potenziale dank hohem Nachholbedarf und reicher Bodenschätze, eine schlagkräftige Armee: Der Iran ist der Nahostaufsteiger der Stunde. Das Ende der Atomsanktionen und der Rückzug der USA aus der Gegend eröffnen neue Möglichkeiten für Teheran. Im Irak und in Syrien erscheinen die schiitischen Iraner wie die Sieger über ihre sunnitischen Rivalen am Golf und in der Türkei. Doch der Erfolg steht auf tönernen Füßen.

Der Hass auf Israel, der Konflikt zwischen Schiiten und Sunniten und traditionelle Rivalitäten mit Ländern wie der Türkei und Saudi-Arabien sind wichtige Motivationsquellen für die iranische Außenpolitik. Auf den ersten Blick läuft hier für die Iraner alles wie am Schnürchen.

Zusammen mit Russland stützt Teheran Syriens Präsidenten Baschar al-Assad. Die von der Türkei und den Golfstaaten ausgerüsteten Rebellen in Syrien haben kaum eine Chance, aus Syrien einen sunnitisch beherrschten Staat zu machen, obwohl die Bevölkerung des Landes mehrheitlich sunnitisch ist.Türken und Saudis befürchten die Entstehung einer schiitischen Zone von der afghanischen Grenze bis zum Mittelmeer.

Im Irak beeinflussen die Iraner die schiitische Regierung in Bagdad und gelten schon jetzt als die Nutznießer der erwarteten Befreiung der Großstadt Mossul aus den Klauen des Islamischen Staates. Im Jemen liefert sich Teheran einen Stellvertreterkrieg mit Saudi-Arabien. Im Libanon ist der Iran wegen seiner Unterstützung für die Hisbollah ein wichtiger Akteur. Mit den Einnahmen aus den nach dem Atomdeal wieder erlaubten Energieexporten könnte Teheran seine Partner in Zukunft noch großzügiger unterstützen.

Nicht nur Israel, sondern der halbe Nahe Osten misstraut der Regierung in Teheran. Das Land ist nach wie vor weitgehend isoliert. Die derzeitige Regionalpolitik könnte den Iran auf lange Zeit in Konflikte verwickeln, in denen es keine klaren Sieger gibt und die viel Geld und militärische Ressourcen binden. Wenn Staaten wie der Irak oder Syrien zerbrechen sollten, wäre das ebenfalls kein Gewinn für den Iran. Der Kalte Krieg mit Saudi-Arabien könnte in eine militärische Auseinandersetzung umschlagen, die Amerika auf den Plan ruft.

Zudem gibt es schon jetzt Anzeichen für eine iranische Überdehnung. In Syrien zum Beispiel konzentrieren die Iraner ihre Unterstützung für Assad auf die Hauptstadt Damaskus und einige andere Regionen: Teheran hat nicht genügend schiitische Verbündete, um flächendeckend in einem sunnitischen Land aktiv zu sein. Die Furcht vor einer iranischen Welle im Nahen Osten ist also übertrieben. Zwar ist das Land nach dem Ende der Sanktionen und angesichts der turbulenten Lage in der Region ein Faktor, mit dem gerechnet werden muss. Aber die Macht stößt an ihre Grenzen.

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