Fall Gabriel und Co. Wie Politiker das Amt als Sprungbrett nutzen

Wie nah ist zu nah? Das geplante Engagement von Ex-Außenminister Sigmar Gabriel bei Siemens Alstom löst eine neue Diskussion über die Beziehungen zwischen Politik und Wirtschaft aus.

 Sigmar Gabriel (SPD) wechselt in die Wirtschaft.

Sigmar Gabriel (SPD) wechselt in die Wirtschaft.

Foto: dpa

Der bevorstehende Wechsel des früheren Außen- und Wirtschaftsministers Sigmar Gabriel (SPD) in den Verwaltungsrat des neuen deutsch-französischen Zugkonzerns Siemens Alstom sorgt für eine neue Kontroverse über den Einfluss von Konzernen und Lobbyisten auf die Politik. Er habe die Bundesregierung umfassend über seine Berufung in das Kontrollgremium informiert, erklärte der frühere SPD-Chef am Mittwoch. „Selbstverständlich“ halte er sich an die gesetzliche Vorgabe für ehemalige Regierungsmitglieder, wonach bis zum Wechsel mindestens eine Karenzzeit von einem Jahr verstrichen sein soll.

Gabriel will den Verwaltungsratsposten erst im März 2019 antreten, zwölf Monate nach seinem Ausscheiden als Außenminister. Dennoch löste seine Berufung erhebliche Kritik der Opposition und von Anti-Lobbyismus-Organisationen aus. Der fusionierte Zugkonzern Siemens Alstom soll Ende des Jahres an den Start gehen. Zusammen kommt der neue Bahnriese auf 15 Milliarden Euro Jahresumsatz und mehr als 60.000 Mitarbeiter. Gemeinsam wollen die Europäer so der stärker werdenden Konkurrenz aus China die Stirn bieten. Seit einigen Jahren mischt der neue Zugriese CRRC aus China im Wettlauf um Bahnaufträge kräftig mit. Der Zusammenschluss muss aber von den Kartellbehörden noch gebilligt werden.

Wechsel von Spitzenpolitikern auf einträgliche Wirtschaftsposten führen immer wieder zu Debatten, weil der Verdacht naheliegt, dass sich die Unternehmen das Insiderwissen und den Einfluss ehemaliger Politiker auf die politischen Machtzentralen einkaufen.

Schlagzeilen machten etwa die Berufungen des früheren Bundesgesundheitsministers Daniel Bahr (FDP) zum Versicherungskonzern Allianz, des Ex-Staatsministers im Kanzleramt, Eckart von Klaeden (CDU), zum Autokonzern Daimler, des Altkanzlers Gerhard Schröder (SPD) zu den russischen Staatskonzernen Gazprom und Rosneft oder der NRW-Gesundheitsministerin Barbara Steffens (Grüne) zur Techniker Krankenkasse. Der Fall des früheren Kanzleramtschefs Ronald Pofalla (CDU), der in die Führungsetage der Deutschen Bahn wechselte, führte 2015 zur Einführung einer Karenzzeit für Bundesminister und Staatssekretäre. Die müssen der Regierung ihre Wechselambitionen anzeigen und mindestens eine Pause von zwölf Monaten, in Ausnahmefällen von bis zu 18 Monaten einlegen. Zudem prüft eine Ethikkommission die Zulässigkeit des Wechsels. Zu deren Mitgliedern wurden erst Mitte 2016 – mit einem Jahr Verzögerung – der frühere Bundesfinanzminister Theo Waigel (CSU), Ex-Grünen-Fraktionschefin Krista Sager und der ehemalige Verfassungsrichter Michael Gerhardt ernannt. Das Gremium soll sich jetzt auch mit dem Wechsel Gabriels zu Alstom beschäftigen. Eine Besonderheit dieses Falles ist, dass sich Gabriel als Wirtschaftsminister 2014 in einem anderen Teilverkauf von Alstom für Siemens stark gemacht hatte. Damals ging es nicht um die Bahnsparten, sondern um das Kraftwerksgeschäft. Siemens ging damals leer aus, der US-Konzern General Electric kam statt dessen zum Zuge.

Sein Einsatz als Wirtschaftsminister für Siemens macht Gabriels Wechsel aber besonders pikant. „Aus Schröder nichts gelernt“, erklärte der Vorsitzende der Linken, Bernd Riexinger. „Dass finanzstarke Unternehmen und Verbände ehemalige Spitzenpolitiker einkaufen, um dank deren Kontakte einen direkten Draht in die Ministerien und Parlamente zu erhalten, ist Lobbyismus pur und außerdem eine Form der Korruption nach dem Motto 'bezahlt wird später'“, sagte Linken-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht. Die Karenzzeit von zwölf bis 18 Monaten gehe nicht weit genug. Zudem müssten Politiker, die sich nicht an die Regeln hielten, bestraft werden können, verlangt die Linken-Politikerin.

Grünen-Parlamentsgeschäftsführerin Britta Haßelmann erklärte, Wechsel von Politikern in die Wirtschaft müssten bei Einhaltung einer Karenzzeit möglich sein. „Gabriels anstehende Tätigkeit im Aufsichtsrat von Siemens Alstom nach so kurzer Zeit ist allerdings instinktlos“, sagte Haßelmann. „Nicht alles, was man machen darf, sollte ein ehemaliger Minister auch machen.

Gabriel selbst hatte sich für die Fusion von Teilsparten dieser Unternehmen eingesetzt. Dass er jetzt so einen Posten bei Siemens Alstom übernimmt, hinterlässt einen schalen Beigeschmack.“ Die Organisation Lobby Control forderte eine Verlängerung der Karenzzeit auf drei Jahre. „Drei Jahre sollten Mindestmaß sein, bei Wechseln in Lobbytätigkeiten oder wenn ein Minister mit den Angelegenheiten seines künftigen Arbeitgebers befasst war. Zudem brauchen wir endlich Sanktionen, sonst bleibt die Karenzzeitregelung zahnlos“, sagte LobbyControl-Geschäftsführerin Heidi Bank.

Verhalten blieb die Kritik aus der Union. „Im Fall Gabriel muss Recht und Gesetz eingehalten werden. Die Ethikkommission wird den Wechsel jetzt für die Bundesregierung prüfen“, sagte Unionsfraktionvize Carsten Linnemann. „Wenn Herr Gabriel die vorgeschriebene Karenzzeit einhält, ist dagegen rechtlich nichts auszusetzen. Unabhängig vom Fall Gabriel: Grundsätzlich brauchen wir mehr Wechsel zwischen Wirtschaft und Politik. Ich möchte kein reines Beamtenparlament haben.“ Aus der SPD kamen trotz mehrerer Anfragen vorerst keine Reaktionen.

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