Cybersicherheit Verfassungsschutz schlägt Alarm

Berlin · Die Gefahr durch Cyberattacken wächst dramatisch. Deutsche Firmen verzeichnen 60 Millionen Übergriffe im Monat.

Auch die Telekom rüstet sich gegen Cyberattacken: Thomas Tschersich, Leiter der IT-Sicherheit, zeigt das Cyber Defense Center in Bonn.

Auch die Telekom rüstet sich gegen Cyberattacken: Thomas Tschersich, Leiter der IT-Sicherheit, zeigt das Cyber Defense Center in Bonn.

Foto: dpa

Wenn einer wie der Thriller-Autor Karl Olsberg „erschrocken“ ist, dass seine erfundenen Katastrophen-Szenarien „von der Wirklichkeit längst überholt“ werden, dann sollte das der allerletzte Anstoß sein, noch genauer hinzuschauen. Nicht von ungefähr versicherte sich Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen der Unterstützung durch den Schriftsteller bei der jüngsten Cybersicherheits-Tagung: Es war der Versuch des obersten Verfassungsschützers, der Öffentlichkeit noch deutlicher vor Augen zu führen, welche Dimensionen die Bedrohung aus dem Netz bereits angenommen hat.

Dabei bekennt Olsberg für sich selbst auch die Verführbarkeit durch die schöne neue Bequemlichkeit: wie ihn das Navi sicher durch fremde Städte führt, wie er durch den simplen Ruf „Alexa, Nachrichten!“ morgens von Amazons kleinem Wunderding seine Wünsche erfüllt bekommt, wie selbstlernende Systeme sich mit ihrem Service immer besser auf seine Bedürfnisse einstellen.

Diese Wirklichkeit scheint weit entfernt zu sein von den klassischen Untergangsszenarien, in denen tapfere Menschen dagegen ankämpfen, dass Maschinen die Macht übernehmen. Olsberg sieht die Gefahr inzwischen gänzlich anders. Die Maschinen seien nicht das Problem, sondern „wir als Nutzer, die den Maschinen zu sehr vertrauen“. Und die Frage, wie naiv er denn sei, wenn er Alexa rund um die Uhr seine Gespräche kontrollieren lasse, kontert er süffisant mit dem Hinweis, jedes Smartphone liefere doch noch viel mehr Möglichkeiten zur Überwachung von Sprache, Gewohnheiten, Bewegungsprofilen, Einkaufsverhalten.

Die Erkenntnis des auch als Internet-Unternehmers tätigen Schriftstellers: „Twitter, Facebook, Amazon und Google sind längst die Navigationssysteme für unser Leben.“ Die künstliche Intelligenz sei Wirklichkeit, die natürlich auch den Ausgang von Wahlen beeinflussen könne. Aber die Tücke der Vernetzung liegt nicht allein in der Manipulation. Sie birgt auch neue Chancen für Verbrecher. So verweist Maaßen auf die Möglichkeit, dass kriminelle Hacker die Kontrolle über selbstfahrende Autos übernehmen. Oder über Herzschrittmacher, die mit dem Netz verbunden sind. Das sei ein neues, möglicherweise immens lukratives Betätigungsfeld für Erpresser. Oder für Mörder? So weit geht Maaßen nicht. Ihm reichen fürs Kopfzerbrechen schon die Erkenntnisse seiner Behörde nach der Auswertung des mutmaßlich aus Russland geführten Cyber-Angriffes, mit dem vor zwei Jahren ein ukrainisches Kraftwerk lahmgelegt wurde.

Maaßen sieht die deutsche Wirtschaft unter erheblichem Veränderungsdruck. Wer sich nicht digitalisiert, droht den Anschluss zu verlieren. Der Industrie 4.0 mit ihrem „Internet der Dinge“, also online verknüpften Produkten, gehört der Markt der Zukunft. Damit beträten die Unternehmen jedoch zugleich einen „Hochsicherheitsraum“, mit der über die Cloud weltweit jedes Unternehmen attackiert werden könne.

Die Schätzungen liefern monströse Zahlen. Schon jetzt soll allein der deutschen Wirtschaft ein jährlicher Schaden von 50 Milliarden Euro durch Cyber-Attacken entstehen. Volker Wagner, Chef der Allianz für die Sicherheit der Wirtschaft (ASW), beziffert die Zahl der täglich (!) entstehenden neuen Schadprogrammvarianten auf 400 000.

Und diese werden, so Maaßen, immer intelligenter, machen sich den Umstand zunutze, dass Unternehmen erst mit großer zeitlicher Verspätung merken, dass Fremde auf ihren angeblich gesicherten Computern waren. Es gebe bereits Trojaner, die sich nach dem Datendiebstahl selbst zerstören, um jede Spur zu verwischen. Dann wundere sich das Unternehmen, dass ein nahezu identisches Produkt von der Konkurrenz angeboten werde, könne aber nicht mehr ermitteln, ob die Innovation verraten, durch Spionage geklaut oder übers Netz abgesogen wurde.

Wagner ruft deshalb die Unternehmen dazu auf, nicht nur Sicherheitsbeauftragte in jedem Betrieb zu installieren und die Mitarbeiter intensiv zu schulen, sondern auch mehr Mittel für das Erkennen erfolgreicher Attacken und deren Bekämpfung bereitzustellen. Mit dem besseren Schutz der Entwicklungsphase wächst das Risiko, dass neue Produkte später auf den Markt kommen und wegen des erhöhten Aufwandes auch teurer werden. Maaßen wirbt für ein neues Verbraucherverhalten: Die Sicherheit müsse zum Faktor der Kaufentscheidung werden und die Bereitschaft steigern, dafür mehr Geld auszugeben.

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