Rückkehr von Dschihadisten Verfassungsschutz macht sich Sorgen

BERLIN · Thomas de Maizière muss eine Sache dann doch noch klarstellen - nach all den Debatten über das Versagen auch des Verfassungsschutzes in der NSU-Affäre. Muss er? Er will es auch.

Der Verfassungsschutz sei ein "Frühwarnsystem", aber auch ein "Nachrichtendienst- und Informationsdienstleister", betont CDU-Politiker de Maizière. Überhaupt sei "seine Arbeit für unser Land unverzichtbar", sagt der Bundesinnenminister, der von Amts wegen Hüter über Recht und Ordnung im Lande ist, bevor er den Verfassungsschutzbericht für das vergangene Jahr vorlegt. Neben dem Bundesinnenminister sitzt der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, 2012 noch von de Maizières Vorgänger Hans-Peter Friedrich (CSU) auf den Chefsessel der Bundesbehörde berufen.

De Maizière und Maaßen präsentieren über eine Stunde ihre Bilanz, wie es um die innere Sicherheit des Landes bestellt ist. Die größte Gefahr, das betonen beide, gehe weiter vom islamistischen Terrorismus aus. Auf gut 43.000 Personen schätzen die Verfassungsschützer derzeit das Islamismuspotenzial in Deutschland, nach 42.550 im Jahr 2012.

Sorgen machen den Sicherheitsbehörden "Reisebewegungen" dieser Extremisten nach Syrien. Rund 2000 Unterstützer aus ganz Europa, davon gut 300 aus Deutschland, seien im Berichtszeitraum zum Kampf gegen das Assad-Regime nach Syrien gereist. Das Problem: Zahlreiche Kombattanten kehrten noch stärker radikalisiert und mit reichlich Kampferfahrung wieder nach Deutschland zurück. Tickende Bomben.

Maaßen räumt dazu allerdings ein, dass der Verfassungsschutz zu wenig Erkenntnisse über die Syrien-Kämpfer habe. "Wir wissen von vielen überhaupt nicht, was sie in Syrien gemacht haben." Lediglich in einem Dutzend Fälle habe man Hinweise, dass die Rückkehrer "in Kampfhandlungen verwickelt" gewesen seien.

De Maizière verweist darauf, dass es mittlerweile eine Tendenz zu einer "sehr raschen Radikalisierung" gebe. Die islamistischen Extremisten, darunter auch junge Frauen, hätten mittlerweile "alle möglichen Profile". Viele von ihnen würden "angefixt" bei Spenden- und Benefiz-Veranstaltungen für Syrien, wie wiederum Maaßen erläutert. Ermittler und Fahnder hätten zudem das Problem, dass beispielsweise Anschlagspläne von Einzeltätern nur "kompliziert" herauszufinden seien.

Aber, kein Vertun, Deutschland müsse weiter mit Anschlägen rechnen. "Aus einer abstrakten Gefahr ist eine konkrete tödliche Gefahr geworden in Europa - mit Deutschland-Bezug", so der Bundesinnenminister. Verfassungsschutz-Präsident Maaßen sieht auch durch Salafisten, die eine besonders radikale Auslegung des Koran predigen, eine Gefahr.

Der Raum Bonn/Köln sei "mit Sicherheit" eine Hochburg der Salafisten in Deutschland, deren Zahl sich im vergangenen Jahr landesweit sehr schnell von 4500 auf 5500 und bis Anfang dieses Jahres nochmals auf 6000 erhöht habe. Es gebe derzeit allerdings "keine Hinweise auf eine konkrete Anschlagsgefahr aus dem Köln/Bonner-Raum", sagt Maaßen.

Er verwies nochmals auf den Ende 2012 geplanten Anschlag auf dem Bonner Hauptbahnhof, der nur wegen eines technischen Defektes nicht geglückt sei und sonst viele Opfer hätte fordern können. Maaßen zur Gefahrenlage: "Deutschland ist nicht weit entfernt vom Terrorismus. Wir sind weiterhin Ziel von Anschlagsplanungen."

Doch auch der Extremismus von Rechts und Links beschäftigt die Verfassungsschützer unverändert weiter. Dabei falle besonders auf, dass Extremisten immer stärker mit Gewalt ihre Ziele verfolgten. Die Zahl rechter Gewalttaten gegen Fremde beziehungsweise gegen Personen, die als fremd empfunden würden, stieg demnach im Vergleich zum Vorjahr um 20,4 Prozent von 393 auf 473. De Maizière beziffert das Potenzial der rechtsextremistischen Szene auf 21.700 Personen (2012: 22.150). Davon würden rund 9600 als gewaltbereit eingestuft.

Der Innenminister warnt trotz der Querelen an der Parteispitze und der Debatte über die Parteifinanzen vor der rechtsextremistischen NPD, die enge Kontakte zur gewaltbereiten Neonazi-Szene pflege. Im Kapitel Rechtsextremismus beschäftigen sich die Verfassungsschützer auch auf mehreren Seiten mit der "Bürgerbewegung pro NRW" die "im Februar 2007 - in Anlehnung an das lokale Modell der im Jahr 1996 entstandenen Bürgerbewegung pro Köln e.V." als Verein gegründet wurde. Das Fazit: "Mit ihrer fremden- und islamfeindlichen Agitation versucht pro NRW, an vorhandene Überfremdungsängste und Vorurteile gegenüber Ausländern, insbesondere gegenüber Muslimen, in Teilen der Bevölkerung anzuknüpfen."

Auch die Zahl der Linksextremisten ist nach Beobachtung des Verfassungsschutzes mit 27.700 leicht rückläufig (2012: 29 400). Allerdings sei die linksextremistische Szene zunehmend gewaltbereit. Die Zahl ihrer Gewalttaten ist im Vergleich zu 2012 deutlich um 26,7 Prozent auf 1110 angestiegen.

De Maizière beklagt dabei vor allem die abnehmende Schwelle zur Gewaltanwendung gegen Polizisten. Allein bei den Ausschreitungen um das Autonome Zentrum Rote Flora in Hamburg mit mehr als 4000 gewaltbereiten Autonomen wurden mehr als 170 Polizisten verletzt.

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