„Das größte transatlantische Zerwürfnis seit dem Zweiten Weltkrieg“ Reaktionen auf Donald Trumps Auftritt in Europa

Wie Beobachter in den USA Donald Trumps Besuch in Europa und Merkels Bierzelt-Breitseite gegen seine Politik bewerten.

 US-Präsident Donald Trump.

US-Präsident Donald Trump.

Foto: dpa

Am „Memorial Day“ gedenkt Amerika seiner gefallenen Soldaten. Die feierliche Selbstbeschäftigung dominiert, angefangen von der Kranzniederlegung des Präsidenten auf dem Heldenfriedhof von Arlington, meist auch die Medienberichterstattung. Donald Trumps erste Auslandsreise und eine Bierzelt-Replik von Bundeskanzlerin Angela Merkel darauf haben die Tagesordnung jedoch verändert.

Analysten und frühere Regierungsvertreter versuchten am Montag die Bedeutung der beiden Sätze zu erfassen, die Merkel im Nachgang des Nato- und G 7-Gipfels im bayerischen Trudering vom Stapel gelassen hatte: „Die Zeiten, in denen wir uns auf andere völlig verlassen konnten, die sind ein Stück vorbei, das habe ich in den letzten Tagen erlebt. Wir Europäer müssen unser Schicksal wirklich in unsere eigene Hand nehmen.“

Für Richard Haass, Chef des renommierten „Council on Foreign Relations“, war Merkels Rede ein „Wendepunkt“ in den transatlantischen Beziehungen, den „Amerika seit Ende des Zweiten Weltkrieges zu vermeiden versucht hat“. Obwohl die Kanzlerin Präsident Trump wörtlich nicht erwähnt habe, sei klar, dass die emanzipatorischen Töne auch auf die Nein-Haltung Trumps bei seinen jüngsten Europa-Auftritten zurückgehe.

Vor allem die Tatsache, dass sich Trump nicht zu einer formalen Bestätigung der Beistandsklausel laut Artikel 5 im Nato-Vertrag durchringen konnte, habe Irritationen ausgelöst.

Auftritte haben Wunden hinterlassen

Cliff Kupchan, Analyst der „Eurasia Gruppe“, prophezeit, dass Trumps Auftritte in Brüssel und Italien Wunden hinterlassen, die Amerika noch teuer bezahlen werde. „Trump erzeugt das größte transatlantische Zerwürfnis seit dem Irak-Krieg, vielleicht sogar seit dem Zweiten Weltkrieg.“ Das mache Amerika verwundbar. Wenn etwa der Iran-Atom-Deal ins Stolpern gerate, könne es sein, „dass Europa in einer gefährlichen Krise nicht auf der Seite Donald Trumps stehen wird“.

William Kristol, konservativer Zuchtmeister der Republikaner und Chef des „Weekly Standard“, kommentierte ernüchtert: „Merkels Anmerkungen erinnern uns daran, dass Trumps Versagen als Präsident auch Amerikas Versagen ist und Amerika schaden wird.“

David Frum, einst Redenschreiber von Präsident George W. Bush, ging noch einen Schritt weiter. „Seit 1945 war es das oberste Ziel der UdSSR und dann Russlands, die Allianz zwischen Deutschland und den USA zu beschädigen“, schreibt der für das Magazin „Atlantic“ arbeitende Publizist, „Trump hat nun geliefert.“

Nicolas Burns, bei Bill Clinton Berater, bei Bush Nato-Repräsentant und Staatssekretär im Außenministerium, sprach von einem der „traurigsten Tage“, seit Harry Truman die Allianz des Westens vor über 70 Jahren geformt habe. Amerikas Einfluss werde „sinken“. Merkels Äußerung sei „sehr bedeutsam“.

Das Ende einer Ära

Ähnlich gewichtet der ehemalige Nato-Gesandte der USA Ivo Daalder den Vorgang, der in Internetforen für Tausende Reaktionen sorgte. „Das scheint das Ende einer Ära zu sein, in der die Vereinigten Staaten führten und Europa folgte“, sagte Daalder der New York Times. Merkel bestätige mit ihren Worten, dass die USA und Europa in Kernfragen auseinanderdriften. Das Blatt beschreibt die Konsequenzen so: „Wenn Amerika weniger gewillt ist, in Übersee einzugreifen, wird Deutschland in Partnerschaft mit Frankreich immer mehr zu einer dominierenden Kraft.“

Entwarnung gibt dagegen das Magazin „Politico“, hier aber nicht die US-Zentrale, sondern die Brüsseler Zweigstelle. Dort wird ausgeführt, dass Merkel in ihrer Rede den Kurs der schleichenden Distanzierung von Trump fortgesetzt habe. Außerdem müsse man berücksichtigen, dass die Kanzlerin mehrere Adressaten im Sinn gehabt habe: die Schwesterpartei CSU, die Wähler vor der Bundestagswahl im September, die Europäische Union und am Ende sicher auch die USA und Großbritannien. Fazit des Autors: „Würde Merkel ein deutsches Abwenden von den USA ankündigen, hätte sie dafür wohl kaum ein bayerisches Bierfest gewählt.“

Mit solchen Feinheiten wollte sich der Sender Fox News, wichtiges Sprachrohr für Trump, gar nicht erst beschäftigen. Dort durfte der frühere UN-Botschafter bei den Vereinten Nationen, John Bolton, behaupten, dass Merkel gar nicht den Rückhalt habe, um die EU auf einen eigenständigen Kurs zu führen.

In der Flüchtlingsproblematik seien Länder wie Polen und Ungarn auf der Gegengeraden. Für Bolton war Merkels Ausspruch reiner Wahlkampf. Fox News assistierte und blendete die im Vergleich zu den USA deutlich geringeren Verteidigungsausgaben etlicher Nato-Länder ein. „Die Bedrohung der Nato-Solidarität kommt aus Europa, nicht aus den USA“, sagte Bolton.

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