Vorwahlkampf in den USA Präsident Obama kanzelt Herausforderer Mitt Romney als Lordsiegelbewahrer der Reichen ab

WASHINGTON · Rick Santorums Kapitulation in der geschichtsträchtigen Bürgerkriegs-Stadt Gettysburg war noch keine Stunde alt, da gab Präsident Barack Obama aus Florida seinem wahrscheinlichen Widersacher Mitt Romney die Tonlage der kommenden sechs Monate bis zur Wahl am 6. November vor: Fairness und Gerechtigkeit. Entlang dieser Schlüsselbegriffe will der demokratische Amtsinhaber seinen republikanischen Herausforderer stellen, demaskieren und sich eine zweite Wahlperiode sichern.

 Fairness und Gerechtigkeit als Wahlkampfthema: Barack Obama am Dienstag an der Florida Atlantic Universität in Boca Raton.

Fairness und Gerechtigkeit als Wahlkampfthema: Barack Obama am Dienstag an der Florida Atlantic Universität in Boca Raton.

Foto: ap

Samthandschuhe stören dabei. "Je mehr die Amerikaner von Mitt Romney mitbekommen, desto weniger mögen sie ihn und desto weniger vertrauen sie ihm", ließ das Obama-Team am Abend die Medien wissen - eine Andeutung auf das, was in den nächsten Wochen aus dem prall gefüllten Munitions-Depot der Demokraten zu erwarten ist. Der Präsident selber machte den Unterschied klar. "Ich stehe für eine sozial gerechte Gesellschaft, in der jeder Mensch eine faire Möglichkeit bekommt." Kämen dagegen Romney und die Republikaner ans Ruder, gehe es "immer weniger Menschen sehr, sehr gut - aber immer mehr kämpfen ums Überleben".

Obamas erneutes Eintreten für eine höhere Besteuerung von Millionären (wie Romney) ist dabei nur die Chiffre für einen Richtungswahlkampf über eine soziale Frage, die in den Vereinigten Staaten von Amerika zunehmend Gewicht erfährt, wie alle Umfragen belegen: Die, die am meisten verdienen, müssen einen niedrigeren Teil ihres Einkommens abgeben als die Durchschnittsverdiener. Was über Jahrzehnte hingenommen wurde, stößt in der Wirtschafts- und Häusermarkt-Krise gerade in der Mittelschicht zunehmend sauer auf. Obama und die Demokraten, die nach der Wahl 2008 viel an Vertrauen in der Bevölkerung eingebüßt haben, wollen sich den Unmut über das Auseinanderklaffen der Wohlstands-Schere zunutze machen. Darum eine Gesundheitsreform, die über 30 Millionen bisher nicht versicherten Amerikanern Schutz bieten würde, wenn der Oberste Gerichtshof das Projekt nicht kippt. Darum ein "aktivierender Sozialstaat", in dem Steuergerechtigkeit statt Essensmarken für die Armen dominieren.

Mitt Romney, sagten gestern selbst den Republikanern nahestehende Analysten dem Fernsehsender CNN, ist an dieser zentralen Stelle "sehr verwundbar". Der auf ein Vermögen von 250 Millionen Dollar taxierte Unternehmer zahlt nicht den Spitzensteuersatz von 35 Prozent. Seine nur unter großem öffentlichen Druck veröffentlichten Einkünfte von zuletzt 40 Millionen Dollar wurden nur mit 15 Prozent besteuert, weil Kapitalerträge privilegiert behandelt werden. Dass Romney widerwillig einräumte, Millionensummen auf Konten in der Schweiz und auf den Cayman-Inseln geparkt zu haben, macht ihn aus Sicht der Demokraten noch angreifbarer.

Täglich rechnen die Obama-Strategen auf Basis unabhängiger Kalkulationen des Kongresses vor, was die von Romney propagierten Milliarden-Kürzungen im Staatshaushalt (Ausnahme: Militär) zu bedeuten hätten: Streichungen bei all jenen Posten, von denen bislang untere Einkommensschichten profitieren. In Umfragen, die den amerikanischen Vorwahl-Alltag im Wochentakt verändern, wirkt sich all das für Romney verheerend aus. Sein seit Monaten erklärtes Ziel, Obama als gescheiterten Präsidenten zu stilisieren, der weder ausreichend Arbeitsplätze geschaffen noch das Staatsdefizit abgebaut habe, verfängt bislang nicht.

Jüngste Erhebungen statten Obama in Fragen der sozialen Gerechtigkeit, der inneren Sicherheit und der internationalen Politik mit deutlich besseren Werten aus. Und in diesen Befragungen ist noch nicht berücksichtigt, was Republikanern insgeheim am meisten Sorgen macht: Seit September vergangenen Jahres haben die Widersacher Santorum, Gingrich und Paul Mitt Romney konstant als liberalen, unzuverlässigen Kantonisten dargestellt, "der nie hält, was er verspricht". Santorum ist nicht mehr im Rennen. Gingrich und Paul sind chancenlos, machen aber vorläufig bis zum Nominierungsparteitag im August weiter. "Wenn sie nicht ab sofort höflich schweigen", so ein Berater einer konservativen Denkfabrik in Washington auf Anfrage, "kann sich Romney auf den Kopf stellen - das Misstrauen seiner Person gegenüber wird bleiben."

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