Kommentar zur Nominierung Hillary Clintons Ohne Vertrauensbonus

Meinung | Washington · Hillary Clinton schlagen Misstrauen und Missgunst entgegen. Dabei kann Amerika eine nach innen wie außen erfahrene, ausbalancierte Pragmatikerin gut gebrauchen. Aber vor ihr liegt ein steiniger Weg.

Amerika, was ist los mit dir? Zum ersten Mal in der 240-jährigen Geschichte des Landes kann eine Frau Präsidentin und damit Führerin der freien Welt werden. Hillary Clinton. Die Glasdecke, die vor acht Jahren bei ihrem ersten Anlauf in Richtung Weißes Haus 18 Millionen Risse (gleich Vorwahlstimmen im Duell mit Barack Obama) bekam, ist endgültig geborsten. Ein Ereignis von epochaler Dimension.

Aber wo bleibt der Einheit stiftende Jubel, wo das in besonderen Momenten in den USA programmierte Bekenntnis zur selbstempfundenen Einzigartigkeit, zum „American Exceptionalism“? Fehlanzeige. Hillary Clinton bleibt der Vertrauensbonus versagt. Ausgerechnet ihr, die sich wie wenige seit einem Vierteljahrhundert weltweit für Gleichstellung und Frauenrechte eingesetzt hat, schlagen Misstrauen und Missgunst entgegen.

Der unterkühlte Umgang mit der Personalie Clinton dokumentiert, wie weit die ideologische Zwietracht die Nation gespalten hat. Für viele Republikaner verkörpert die nach Lebensabschnitten als Anwältin, Präsidentengattin, Senatorin und Außenministerin am besten qualifizierte Kandidatin aller Zeiten nicht weniger als den größten anzunehmenden Unfall. In den Knast mit ihr, rufen Wutbürger. Aufgeputscht vom größten Scharlatan, der sich seit Jahrzehnten vor der politischen Weltbühne herumgedrückt hat. Donald Trump. Damit war zu rechnen.

Und auch damit: In der eigenen Parteifamilie hält sich die Begeisterung in Grenzen. Viele Demokraten halten Clinton vor, keine politisch unbefleckte Heilige zu sein. Und erst recht keine linkslehrbuchhafte weibliche Version des Senioren-Robin Hood Bernie Sanders. Aber auch das wusste man vorher. Und nun?

Der riesige Ressourcen fressende und permanente Desinformation begünstigende Vorwahlkampf in Amerika produziert Phantastereien, mit denen man 100 Tage vor der eigentlichen Wahl keinen Blumentopf gewinnen kann.

Clinton ist die mit allen Wassern (auch den trüben) gewaschene, handlungsstarke, im Machtklüngel versierte, dem Großkapital herzlich verbundene Mechanikerin der Macht, als die sie oft verächtlich porträtiert wird. Ihr geht das Charisma, die Lockerheit und die Herzenswärme ab, die man in Vorgänger-Idole wie Barack Obama ohne langes Zögern zu projizieren bereit war.

Aber diese Defizite sind zu verschmerzen, wenn es Clinton gelingt, neues Vertrauen zu wecken. Amerika kann nach innen wie außen eine erfahrene, ausbalancierte Pragmatikerin gut gebrauchen. Clinton muss den Beweis antreten, dass ihr Weg der bessere ist, um Amerika im 21. Jahrhundert mit sich und der Welt zu versöhnen. Kann sie liefern? Kann man ihr trauen? Der Polit-Zauber von Philadelphia zeigt, wie steinig der Weg ist. Der eigentliche Stresstest für Amerikas erste potenzielle Präsidentin beginnt erst jetzt.

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