NRWs-Ministerpräsidentin Kraft unter Druck

DÜSSELDORF · Kein Politiker in Nordrhein-Westfalen kann der populären Hannelore Kraft (SPD) in Umfragen das Wasser reichen. Mit ihrer bodenständigen, direkten Art trifft die Ministerpräsidentin aus dem Ruhrgebiet den Ton der Bürger. Seit kurzem aber wird die Harmonie getrübt: Es läuft nicht rund für Kraft.

 Seit vier Jahren im Amt: Die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD).

Seit vier Jahren im Amt: Die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD).

Foto: dpa

In fast allen Leistungsvergleichen rangiert NRW auf hinteren Plätzen: Mit der Haushaltssperre dokumentierte die Regierungschefin, dass dem Land das Wasser finanziell bis zum Hals steht. Weil die Landesregierung Gästen nur noch Leitungswasser statt Kaffee und Orangensaft serviert, sieht die Opposition einen peinlichen Tiefpunkt erreicht in der Ära Kraft.

Beim Amtsantritt vor vier Jahren hatte die Ministerpräsidentin noch großzügig Wohltaten verteilt: Wegfall der Studiengebühren, Streichung der Elternbeiträge im letzten Kita-Jahr, Ende der Stellenkürzungen. Jetzt muss das mit 138 Milliarden Euro hochverschuldete NRW mit Blick auf die Schuldenbremse 2020 den Kurs ändern. CDU-Landeschef Armin Laschet glaubt angesichts unpopulärer Sparzwänge erste Anzeichen von Amtsmüdigkeit bei der Regierungschefin zu erkennen: "Kraft taucht ab." Auch der liberale Oppositionsführer Christian Lindner vermisst politische Führungskraft. "Kraft will nur noch repräsentieren, nicht mehr regieren." Das böse Wort von der "Schönwetter-Politikerin" macht die Runde.

Abseits der Oppositionsrhetorik wächst auch im rot-grünen Regierungslager die Unruhe. Es gebe immer mehr Probleme, aber kaum Konzepte in der Krise, heißt es. Dass die Ministerpräsidentin im Frühjahr meinte, sie fände mit ihren Fähigkeiten auch außerhalb der Politik eine Aufgabe, hat Spekulationen über die persönliche Lebensplanung der 53-jährigen Ökonomin entfacht. Dabei hat ihr Hinweis, sie fühle sich im Berliner Haifischbecken unwohl, den Einfluss der SPD-Vize auf Entscheidungen im Bund nicht erhöht.

Die Landesregierung steht mächtig unter Druck: NRW hat die höchste Arbeitslosenquote im Westen, jeder dritte Langzeitarbeitslose lebt hier. Die Steuereinnahmen brechen ein, bei der Verschuldung nehmen Revierstädte wie Oberhausen bundesweit vordere Plätze ein. Im Ruhrgebiet sinken die Einwohnerzahlen, stehen Wohnungen leer, fehlt Geld zur Sanierung maroder Straßen und grauer Stadtviertel. Und an den Hochschulen leistet sich NRW die bundesweit schlechteste Betreuungsrelation. Für das Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) ist NRW ein "Sorgenfall".

Krafts Vorzeigeprojekt "Kein Kind zurücklassen", also frühe Vorsorge statt teurer Nachsorge, zeigt hingegen laut Bertelsmann-Studie erste Wirkungen. "Vorbeugen funktioniert", heißt es. Kinder, die vor dem dritten Lebensjahr in die Kita gehen, sind "in nahezu allen Entwicklungsbereichen weiter fortgeschritten". Die Bilanz wird aber getrübt durch den aktuellen Bildungsmonitor der deutschen Wirtschaft: Da stürzte NRW auf den vorletzten Platz ab. Fast überall in Deutschland sind die Aufstiegschancen für bildungsferne Schichten besser als in NRW.

Ohne Moos nix los. Dass die Landeskasse so leer ist, hat für Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD) mit der Benachteiligung des Landes im Länderfinanzausgleich zu tun. Schließlich überweise NRW jährlich netto 1,4 Milliarden Euro über Umsatzsteuer und Finanzausgleich an arme Bundesländer. Die Folge: Länder wie Sachsen bejubeln ausgeglichene Haushalte - NRW fehlen 2014 rund drei Milliarden Euro in der Kasse. Auch die großen Energiekonzerne, die wie RWE und EON jahrzehntelang zuverlässig Milliarden Euro Steuern in die Kommunen gespült haben, stecken seit der Energiewende in der Krise.

Bisher haben die schlechten Zahlen der großen Popularität von Hannelore Kraft nicht geschadet. Die Mülheimerin gilt den Genossen weiter als Garant für Wahlsiege. Der Streit mit den Gewerkschaften um die Beamtenbesoldung aber könnte ihr einen ersten Knacks gegeben haben. Krafts Versuch, höheren Beamten zwei "Nullrunden" aufzudrücken, scheiterte vor dem Verfassungsgericht. Neue Sparrunden 2015 aber sind unvermeidbar. In der Opposition wird gemutmaßt, dass die Ministerpräsidentin 2017 ins Amt der Bundespräsidentin "flüchten" möchte. Krafts grüne Koalitionspartnerin Sylvia Löhrmann hält das für reines oppositionelles Wunschdenken. "Die Ministerpräsidentin ist putzmunter."

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