Kommentar zu Martin Schulz Jetzt also Schulz

Meinung | Bonn · Die SPD-Spitzenpersonalie hat es in sich. Doch für die Partei könnte der Wechsel von Martin Schulz nach Berlin zum Bumerang werden.

Der Mann kann offenbar alles. Parlamentspräsident in Brüssel und Straßburg – das würde er selbst am liebsten machen. Dort will man ihn indes nicht mehr. Aber natürlich könnte er auch Außenminister in Berlin werden, und – falls es passt – auch Kanzler, vielleicht sogar erst das eine und dann das andere. Dafür muss er zwar erst irgendwo und irgendwie aufgestellt und dann auch gewählt werden.

Aber welch großer Geist stört sich denn an solchen Formalitäten?

Glückwunsch einer Partei, die über ein so hoch qualifiziertes Spitzenpersonal verfügt, das sich glänzend in Szene zu setzen weiß. Oder klarer formuliert: Martin Schulz scheint vor lauter Selbstverliebtheit übersehen zu haben, dass seine One-Man-Show die SPD als lahmen und desinteressierten Haufen erscheinen lässt, mit dem er quasi alles machen kann. Parteitage, die Listen aufstellen, scheinen nichts mehr zu bedeuten.

Konkurrenten, die ihn einbremsen würden, sind nirgendwo in Sicht. Und Sigmar Gabriel macht bei alledem eine ziemlich jämmerliche Figur. Auch wenn er im Hintergrund die Fäden mitgezogen haben dürfte, wirkt es doch merkwürdig übergriffig und wenig respektvoll, was Schulz da treibt.

Das liegt vor allem an Gabriel selbst, denn der müsste sich endlich erklären, um der Öffentlichkeit klarzumachen, für welche Aufgabe Schulz nun wirklich der Richtige wäre. Weil Gabriel das nicht tut, beschädigt er die beiden Ämter, um die es da geht, und er beschädigt seine eigene Partei. Wenn einer alles kann und alle anderen nichts, dann ist doch etwas faul mit der SPD.

Der Anspruch der Sozialdemokraten war mal höher. Rudolf Scharping setzte sich einst per Urwahl gegen den ehrgeizigen Gerhard Schröder durch und verlor dann krachend die Bundestagswahl. Schröder wiederum lieferte sich über Monate einen Wettbewerb um die Spitzenposition bei der Bundestagswahl mit Oskar Lafontaine. Erst musste Schröder zwei Mal in Niedersachsen gewinnen, danach konnte er 1998 als Kanzlerkandidat antreten.

Ein weiteres Beispiel ist noch gar nicht so lange her. Nach der letzten Bundestagswahl ließ Sigmar Gabriel über den Eintritt in die große Koalition abstimmen. Offenbar hatte er Respekt vor möglichen Kritikern aus den eigenen Reihen. Die muss er heute wohl nicht mehr fürchten. Es genügt der Ehrgeiz eines Spitzenmannes, der gerade seinen Job verliert. Die SPD scheint zutiefst verzagt zu sein.

Diese SPD will wohlgemerkt den nächsten Kanzler stellen. Das geht dann vermutlich so: Schulz geht nach Berlin und wird dort irgendetwas werden. Auch Gabriel wird irgendwann nach Weihnachten sagen, was er will. Die SPD wird das nach jetzigem Stand zur Kenntnis nehmen und mangels anderer Ideen und Kandidaten mit irgendeinem Gremium zustimmen.

Und im September wundern sich die Genossen, warum die Wähler sie nicht verstehen. Sie sind vermutlich die einzigen, denen das nicht klar ist.

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