Internet-Überwachung Deutscher nach Facebook-Eintrag in Türkei verhaftet

Istanbul · Die jüngste Inhaftierung eines Deutschen in der Türkei zeigt, wie die Regierung von Präsident Erdogan verstärkt das Internet überwacht. Im vergangenen Jahr wurden gegen mehr als 18.000 Menschen rechtliche Schritte eingeleitet.

 Präsident Erdogan: Die Behörden gehen im Schnitt jeden Tag gegen 50 Verdächtige vor, die mit kritischen Kommentaren im Internet auffallen.

Präsident Erdogan: Die Behörden gehen im Schnitt jeden Tag gegen 50 Verdächtige vor, die mit kritischen Kommentaren im Internet auffallen.

Foto: AFP

Die Festnahme des türkischstämmigen Bundesbürgers Adnan Sütcü wegen angeblich staatsfeindlicher Facebook-Beiträge zeigt die zunehmende Unterdrückung der Meinungsfreiheit in der Türkei. Nach offiziellen Angaben gehen die Behörden im Durchschnitt jeden Tag gegen etwa 50 Verdächtige vor, die ihnen mit Kommentaren in sozialen Medien auffallen. Viele Türken sagen in der Öffentlichkeit lieber nichts mehr.

Der Münchner Sütcü wurde laut „Süddeutscher Zeitung“, NDR und WDR am 27. Dezember in Ankara festgenommen, wo er an der Beisetzung seiner Mutter teilnehmen wollte. Inzwischen ist Sütcü demnach wieder frei, darf die Türkei aber vorerst nicht verlassen. Die Bundesregierung lässt Sütcü konsularisch betreuen.

Der Beschuldigte soll der türkischen Justiz zufolge auf Facebook Propaganda für eine Terrororganisation verbreitet haben, was er laut „Süddeutscher Zeitung“ bestreitet. Ob ihm Unterstützung für die kurdische PKK vorgeworfen wird, war zunächst nicht bekannt. Der 56-Jährige ist in München im kurdischen Dachverband Komkar aktiv. Als Mitglied desselben Verbandes war im Juli auch der Hamburger Dennis E. im südtürkischen Iskenderun festgenommen worden; E. muss sich wegen PKK-Propaganda verantworten. Insgesamt sind rund ein halbes Dutzend Bundesbürger wegen politischer Vorwürfe in der Türkei in Haft. Berlin spricht von Willkür der Behörden.

Die Regierung in Ankara weist dies zurück. Präsident Recep Tayyip Erdogan betonte erst vor wenigen Tagen, die Türkei sei eines der wenigen Länder, in denen die Demokratie „in ihrer vollen Bedeutung“ umgesetzt werde. Erdogans Regierung argumentiert, Terror-Propaganda werde auch in westlichen Ländern geahndet.

Allerdings ziehen regierungstreue Richter und Staatsanwälte die Grenzen der Meinungsfreiheit wesentlich enger als ihre Kollegen in Europa oder den USA. Kritik an Erdogan oder anderen Mitgliedern der Führung wird häufig als Präsidentenbeleidigung oder Volksverhetzung verfolgt. Laut einer aktuellen Statistik des Innenministeriums wurden 2018 gegen insgesamt 18 376 Betroffene rechtliche Schritte eingeleitet, weil sie per Internet schwere Beleidigungen von Amtsträgern oder aufrührerische sowie gewaltverherrlichende Äußerungen verbreitet haben sollen.

Der Schutz des Staates und seiner Vertreter vor angeblichen Angriffen wiegt für die Justiz weit schwerer als das auch in der Türkei verfassungsrechtlich garantierte Recht auf freie Rede. Fast jeden Tag gibt es neue Beispiele dafür. Ein prominenter Banker muss sich derzeit vor der Justiz verantworten, weil er vor fünf Jahren ein Erdogan-kritisches Video auf Twitter verbreitet hatte.

Mitunter wird die Justiz aktiv, wenn sie von Erdogan dazu aufgefordert wird. Vor Kurzem wurden zwei Schauspieler vorübergehend festgenommen, nachdem sich der Präsident über ihre Kommentare im oppositionsnahen Sender Halk TV beschwert hatte. Auch gegen den TV-Moderator Fatih Portakal wird ermittelt, weil er Erdogan unangenehm auffiel: Portakal hatte die Frage gestellt, ob in der Türkei noch friedliche Protestdemonstrationen möglich seien. Halk TV sowie Portakals Sender Fox erhielten Strafen von der Medienbehörde Rtük. Der Journalistenverband TGC brandmarkte dies als Angriff auf die Pressefreiheit.

Auch im Parlament hat die Justiz angebliche Staatsfeinde ausgemacht. Neun Abgeordnete sollen ihre Immunität verlieren, weil sie auf Twitter eine Erdogan-Karikatur verbreitet hatten. Einer der Betroffenen, Ali Mahir Basarir, erklärte, in der Türkei solle ein „Reich der Angst“ errichtet werden.

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