Flüchtlingsdrama im Mittelmeer 300 Todesopfer in einer Woche

BRÜSSEL · Das Flüchtlingsdrama im Mittelmeer nimmt immer tragischere Ausmaße an. Italien will EU-Partner zur Mitverantwortung zwingen.

Das Flüchtlingsdrama im Mittelmeer erreicht immer neue erschreckende Höhepunkte. Innerhalb der letzten sieben Tage sind zwar 4000 Menschen aus völlig überfüllten, seeuntüchtigen Booten gerettet worden. Aber es ertranken auch über 300 Flüchtlinge. Die Zahl der Todesopfer seit Beginn des Jahres 2014 ist inzwischen auf 1889 Menschen gestiegen - und vermutlich, so heißt es beim Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) in Genf, müsse diese Angabe "jede Stunde neu nach oben korrigiert werden". "Die letzten Tage waren die bisher tödlichsten für Menschen, die auf diese Weise nach Europa übersetzen wollen", sagte eine UN-Sprecherin.

Vor diesem Hintergrund werden die Rufe nach einer Korrektur der bisherigen Flüchtlingspolitik der EU immer lauter. Schon Anfang der Woche konferierte Italiens Ministerpräsident Matteo Renzi, der derzeit auch den EU-Vorsitz innehat, mit Experten der Brüsseler Kommission in Rom. Am Mittwoch kam Innenminister Angelino Alfano in der belgischen Hauptstadt mit EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström zusammen. "Die EU muss etwas tun", wiederholt die Regierung in Italien gebetsmühlenartig.

Nun will man die Partner dazu zwingen, Farbe zu bekennen. Denn das Land fühlt sich überfordert mit der im Oktober gestarteten Operation "Mare Nostrum" (Unser Meer), einer geballten Patrouille der italienischen Marine. Zu ihr gehören ein Landungsschiff mit Kontaktpersonen aller Behörden an Bord, zwei Fregatten mit Helikoptern, zwei Patrouillenboote, vier weitere Hubschrauber, ein Aufklärungsflugzeug sowie Transportschiffe. Gut neun Millionen Euro verschlingt der Einsatz der italienischen Flotte im Monat. "Das können wir nicht mehr alleine schultern", betonte Alfano am Mittwoch in Brüssel. Stattdessen will man das Mandat der EU-Grenzschutzagentur Frontex ausweiten. Deren Operationen müssen von allen Mitgliedstaaten (auch Deutschland) getragen werden, die dafür Schiffe, Flugzeuge, Hubschrauber und Beamte bereitstellen.

Italien will im Gegenzug Aufnahmeplätze für 10 000 Flüchtlinge schaffen und die derzeit geltenden Quoten für die Verteilung der Geretteten im eigenen Land erhöhen. Die Forderung nach einer Aufteilung der Betroffenen auf alle Mitgliedstaaten, die einem Bruch der bisherigen Dublin-II-Regelung (Das Land, in dem ein Flüchtling seinen Fuß auf europäischen Boden setzt, ist für die Aufnahme verantwortlich) gleichkäme, hat man inzwischen fallengelassen.

Gleichzeitig fordern alle südlichen Länder von der EU mehr "Einsatz in Libyen", wie Roms Unterstaatssekretär für Europapolitik, Sandro Gozi, es ausdrückte. "Die Union muss sich dort engagieren. Viele Migrationsprobleme entstehen dadurch, dass das nordafrikanische Land außer Kontrolle geraten ist." Tatsächlich waren am vergangenen Freitag östlich von Tripolis bei einer Schiffskatastrophe 270 Menschen ertrunken. Der bewaffnete Konflikt in Libyen hat den Flüchtlingsstrom anschwellen lassen.

Ob es nun zu einer Korrektur der EU-Flüchtlingspolitik und zur Übernahme von mehr Verantwortung durch alle Staaten kommt, ist offen. In Brüssel hieß es gestern, das Thema werde im September die 28 Innenminister erneut beschäftigen. Bis dahin dürfte die Zahl der Opfer im Mittelmeer ungebremst weiter ansteigen.

NRW-Kommunen rufen um Hilfe

Angesichts steigender Asylbewerberzahlen wird in NRW der Ruf nach mehr Unterstützung für die Kommunen lauter. "Wir können die Städte und Gemeinden mit dieser zunehmend schwierigen Aufgabe nicht allein lassen", teilte Bernd Jürgen Schneider, Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes NRW gestern mit. Nur eine ausreichende Finanzierung seitens des Landes sichere angesichts knapper kommunaler Kassen die Akzeptanz für Flüchtlinge in der Bevölkerung.

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erwartet in diesem Jahr 170.000 Asylanträge - so viele wie seit gut 20 Jahren nicht mehr.

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