Erster Weltkrieg 100 Jahre danach

Frankreich und Deutschland gedenken gemeinsam der Schlacht von Verdun, in der im Ersten Weltkrieg gut 300 000 Soldaten beider Länder fielen.

 Jugendliche stehen am 29.05.2016 bei der Gedenkfeier in der Nationalnekropole Douaumont bei Verdun (Lothringen) zwischen den Kreuzen der Soldatengräber. Der Beginn der Schlacht zwischen deutschen und französischen Truppen, bei der im Jahr 1916 innerhalb von rund 300 Tagen mehr als 300 000 Soldaten auf beiden Seiten getötet wurden, jährt sich zum 100. Mal. Der Ort im Nordosten Frankreichs wurde damit zum Inbegriff der brutalen Stellungskämpfe des Ersten Weltkriegs. Foto: Kay Nietfeld/dpa +++(c) dpa - Bildfunk+++

Jugendliche stehen am 29.05.2016 bei der Gedenkfeier in der Nationalnekropole Douaumont bei Verdun (Lothringen) zwischen den Kreuzen der Soldatengräber. Der Beginn der Schlacht zwischen deutschen und französischen Truppen, bei der im Jahr 1916 innerhalb von rund 300 Tagen mehr als 300 000 Soldaten auf beiden Seiten getötet wurden, jährt sich zum 100. Mal. Der Ort im Nordosten Frankreichs wurde damit zum Inbegriff der brutalen Stellungskämpfe des Ersten Weltkriegs. Foto: Kay Nietfeld/dpa +++(c) dpa - Bildfunk+++

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100 Jahre können kurz wirken; wer in die Gegend um Verdun kommt, sieht noch immer die erstaunliche Hügellandschaft als Folge der wuchtigen Bombeneinschläge. Die Knochen ungezählter deutscher und französischer Soldaten sind weiterhin unter ihr vergraben, Bunker und Soldatenfriedhöfe in der Gegend zeugen bis heute vom heftigen Kriegstreiben. Von Februar bis Dezember 1916 tobte hier eine der brutalsten Schlachten des Ersten Weltkriegs, bei der mehr als 300 000 junge Männer beider Länder starben. Neun Dörfer wurden völlig ausgelöscht.

Zugleich können 100 Jahre sehr weit zurückliegend erscheinen – beim Blick auf die knapp 4000 deutschen und französischen Jugendlichen, die gestern durch die Wälder liefen, in denen sich ihre Vorfahren einst bekriegten, vorbei an den Schützengräben und schließlich an den weißen Kreuzen über den Gräbern. Die Idee dazu stammte von Volker Schlöndorff; der Élysée-Palast hatte den deutschen Regisseur beauftragt, die gestrige Gedenkfeier in Verdun mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und Präsident François Hollande mit einer „etwas anderen Inszenierung“ anzureichern. Schlöndorff erklärte im Vorfeld, er wolle die Zeremonie „Politikern und Militärs wegnehmen und den Jugendlichen geben“.

Schon Tage vor der Feier waren die Neuntklässler aus vielen Regionen Deutschlands und Frankreichs zu Workshops um das Kriegsthema zusammengekommen. Das Deutsch-Französische Jugendwerk, das Rektorat der Akademie Nancy-Metz, die Französische Botschaft in Deutschland und das Canopé-Netzwerk hatten sie eingeladen. Selbst aus den Übersee-Departements wie Guadeloupe und La Réunion reisten Jugendliche zum Treffen mit deutschen Partnerklassen an.

Zu ihnen gehörten Ida Neumann und Juliette Le Yaouanc, die das deutsch-französische Gymnasium in Saarbrücken besuchen und im Gespräch beide Sprachen ganz natürlich mischen. Der Gedanke an Krieg zwischen ihren Ländern erscheine ihnen „absurd“, erklärten die Deutsche und die Französin: „Für uns ist nur Frieden vorstellbar, weil wir gleich sind.“

Trotzdem war es den einstigen Feinden ein Anliegen, an das zurückliegende Grauen zu erinnern und es als Aufgabe für das Auf- und Weiterbauen Europas aufzufassen. 32 Jahre nach dem Gedenken ihrer Amtsvorgänger Helmut Kohl und François Mitterrand am Beinhaus von Douaumont, wo ein legendär gewordenes Foto die beiden Hand in Hand zeigt, kamen Merkel und Hollande gestern an die einstigen Schlachtfelder. Ein einziger Regenschirm schützte beide vor dem Regen. Es war zugleich genau 50 Jahre nachdem der damalige französische Präsident Charles de Gaulle der „Hölle von Verdun“ gedachte – damals noch ausdrücklich ohne deutsche Beteiligung.

Der Name der Stadt Verdun stehe für „unfassbare Grausamkeit und Sinnlosigkeit des Krieges wie auch für die Lehren daraus und die deutsch-französische Versöhnung“, sagte Merkel bei einer Zeremonie im Rathaus der ostfranzösischen Stadt. Weil diese eine „Botschaft der Hoffnung“ aussende, wurde sie mit dem Adenauer-de-Gaulle-Preis ausgezeichnet, so Hollande: Verdun bedeute zugleich „das Schlimmste“, da Europa sich hier verloren habe, und „das Beste“, denn der Stadt gelang, sich für den Frieden und die deutsch-französische Freundschaft wieder zu vereinigen: Sie sei „nicht in einem Kult der Toten erstarrt“, sondern blicke nach vorn.

Zuvor hatte er an der Seite der Kanzlerin und in Begleitung von EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker und EU-Parlamentspräsident Martin Schulz den deutschen Soldatenfriedhof Consenvoye besucht. Am Nachmittag fuhren sie zum Beinhaus in Douaumont, wo eine neue Inschrift erstmals daran erinnert, dass hier die Überreste von 130 000 toten französischen UND deutschen Soldaten liegen. Dagegen hatten sich französische Verbände bis jetzt gewehrt, so dass nur ein einziger deutscher Name zwischen den französischen zu lesen war.

Außerdem weihten Merkel und Hollande die Gedenkstätte von Verdun ein, die für 12,5 Millionen Euro neu gestaltet worden ist. In einem interaktiven Durchgang erklärt diese die mörderische Schlacht, ihre Hintergründe und wie beteiligte Soldaten diese erlebten. Geschichte, so Merkel, sei beklemmend nah. Sie danke Hollande für die Geste, sie eingeladen zu haben: „Uns trennen keine Gräben mehr.“

Zu den Lehren, die Europa aus den Katastrophen des 20. Jahrhunderts gezogen habe, gehöre die Fähigkeit und Bereitschaft „zu erkennen, wie lebenswichtig und notwendig es ist, sich nicht abzuschotten“. Auch wenn es Kraft koste, aufeinander zuzugehen und sich in die Sichtweisen des anderen hineinzudenken sei es „das, was ein erfolgreiches Europa ausmacht“. Eine Botschaft, die an diesem Ort ausgesendet und durch ihre heutige Aktualität umso eindrucksvoller klang.

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