Glauben und Tourismus in Spanien Völkerwanderung auf dem Jakobsweg

Madrid · Die nordspanische Stadt Santiago de Compostela versucht, die anschwellenden Pilgerströme in verträgliche Bahnen zu lenken. Bei 300.000 Gläubigen und mehreren Millionen einfachen Touristen, die dieses Jahr erwartet werden, keine leichte Aufgabe.

Voll, voller, Spanien. Mehr als 80 Millionen ausländische Urlauber werden dieses Jahr im Königreich erwartet. Der Touristenansturm schlägt alle Rekorde – und dies macht sich auch in Regionen bemerkbar, die bisher eher abseits der ausgetretenen Pfade lagen. Das gilt zum Beispiel für den Jakobsweg, jene Pilgerroute, die sich über 800 Kilometer von den Pyrenäen an der französischen Grenze bis zur Kathedrale in Santiago de Compostela durch Nordspanien schlängelt. Dort ist es inzwischen mit der besinnlichen Ruhe vorbei: Jetzt im Sommer begeben sich lange Menschenkarawanen auf Wallfahrt.

Weil sich immer mehr Wanderer auf dem Weg nach Santiago drängeln, warnt Bürgermeister Martiño Noriega davor, dass seine Stadt in Gefahr läuft, „am eigenen Erfolg zu sterben“. Im vergangenen Jahr liefen 280 000 Pilger über den Jakobsweg nach Santiago, dessen Altstadt rund um die Kathedrale zum Weltkulturerbe gehört. 2017 dürften es rund 300 000 werden.

Hinzu kommen jedes Jahr mehrere Millionen normale Touristen in die Stadt, in deren Kathedrale die Gebeine des Apostels Jakobus (auf Spanisch Santiago) ruhen sollen. 800 000 Besucher übernachteten in der Stadt mit 100 000 Einwohnern, dazu kommen Millionen Tagesgäste. Und die Besucherkurve zeigt weiter nach oben. Kein Wunder, dass in dieser Stadt der Kirchen und Klöster Spaniens boomender Tourismus zunehmend ganz weltliche Konflikte schafft.

Immobilienpreise schossen in den Himmel

Die linksalternative Stadtregierung Santiagos beschloss bereits vor zwei Jahren ein Moratorium für das Hotel- und Tourismusgewerbe im Zentrum, weil sich Herbergen und Souvenirshops immer weiter ausbreiteten und die gewachsenen Altstadtstrukturen erdrückten. Mit der Folge, dass die Immobilienpreise in den Himmel schossen und die einheimische Bevölkerung aus der Innenstadt zunehmend verdrängt wird.

Um die Immobilienspekulation rund um die Kathedrale zu bremsen, wird nun auch in Santiago – ähnlich wie schon in den Tourismushochburgen Barcelona oder auf Mallorca – die illegale Vermietung von Ferienapartments durch Airbnb und andere Internetplattformen bekämpft. Nur offiziell registrierte Ferienwohnungen mit Lizenz dürfen angeboten werden. Sündern drohen hohe Strafen.

Niemand will hier die Touristen zum Sündenbock machen. Schließlich lebt die Pilgerstadt nicht schlecht von ihren Besuchern. „Der Tourismus ist der Motor unserer Stadt“, räumt Bürgermeister Noriega ein. Er will die Touristenkarawanen lediglich in geordnete Bahnen lenken. „Wir müssen ein Qualitätsmodell suchen, das nicht die ganze Altstadt in einen Themenpark verwandelt.“ Auch beim Geschäft mit den Pilgern, das die Kassen laut klingeln lässt, dürfe nicht der Respekt vor den einheimischen Bewohnern unter die Räder kommen.

Schlangestehen als spirituelles Erlebnis

Zu tourismusfeindlichen Demonstrationen wie auf Mallorca oder in Barcelona kam es bisher in Santiago nicht. Aber dafür in der 600 Kilometer entfernten Stadt Logroño, die am Pilgerweg liegt. Dort demonstrierte eine kleine Bürgergruppe vor einigen Wanderherbergen und hielt Plakate mit der Aufschrift „Pilger geht nach Hause“ in die Höhe. „Unsere Altstadt hat sich wegen der Tausenden von Pilgern in einen unbegehbaren und überaus lauten Ort verwandelt“, erklärten die Demonstranten. Der Pilgerstrom treibe die Preise in den Bars und Restaurants in die Höhe und störe die Ruhe in den Altstadtgassen.

Viel Rückhalt fand die Mini-Demonstration nicht in Logroño, der Hauptstadt des Rioja, die ihre Einnahmen vor allem der Weinproduktion, aber eben auch den Wallfahrern verdankt. Eine Unterschriftenkampagne der kleinen Anti-Pilgerbewegung, in der gefordert wurde, den Jakobsweg in großem Bogen um die Stadt herumzuleiten, wurde nur von 19 Bürgern der 150 000-Einwohner-Stadt unterstützt. Das klingt nicht nach einer Revolution gegen die frommen Wallfahrer, die von der großen Mehrheit der Bevölkerung weiterhin willkommen geheißen werden.

Die wirklichen Probleme auf dem Jakobsweg sind denn auch ganz andere. Und sie bereiten eher jenen Pilgern Kopfschmerzen, die mit der großen Illusion die Stiefel angezogen haben, einsam und still durch die schöne Landschaft Richtung Santiago zu wandern. Denn von Einsamkeit kann, wenigstens auf der Hauptpilgerroute von Frankreich nach Santiago, keine Rede mehr sein: Die Pilgerherbergen sind überfüllt. Wer nicht frühzeitig reserviert und nicht mittags am Ziel ist, bekommt kein Bett. Und vor vielen Bars, Trinkbrunnen und natürlich vor Santiagos berühmter Kathedrale muss man Schlangestehen. Aber auch das kann ja ein spirituelles Erlebnis ganz eigener Art sein.

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