Farindola in Italien Lawine begräbt Hotel unter sich

Farindola · Seit August haben mehrere Erdbeben Mittelitalien erschüttert. Nun verschüttete eine wohl von neuen Erdstößen ausgelöste Lawine ein Berghotel, mit möglicherweise zahlreichen Toten.

Die Bilder, die die Polizeibeamten vom Hubschrauber aus aufgenommen haben, lassen das Ausmaß der Katastrophe erahnen. Zu sehen ist eine verschneite Berggegend in den Abruzzen. Aus den Schneemassen ragen die Reste eines Gebäudes hervor. Ein paar Bäume sind zu sehen, ein verschneites Dach, Mauerreste, mehr nicht. Hier stand einst das prächtige Vier-Sterne-Hotel „Rigopiano“. Ein Erholungsressort in den Bergen, mit Sauna, Schwimmbad und Extras wie einem „Garten der Sinne“.

Jetzt sind nur noch Trümmer zu sehen. Szenen einer weißen Apokalypse. Bis zu 30 Menschen sollen sich in dem Gebäudekomplex an den Ausläufern des Gran-Sasso-Massivs in Mittelitalien aufgehalten haben, als er am Mittwochnachmittag von einer Lawine verschüttet wurde. Von 22 Hotelgästen und sieben Angestellten ist die Rede. Drei leblose Körper bargen die Rettungskräfte bis Donnerstagnachmittag. Italienische Medien berichten von zwei Überlebenden. Laut Angaben der Zeitung Il Centro sollen sich auch Deutsche in dem Hotel befunden haben.

Die Schreckensnachrichten aus Mittelitalien reißen nicht ab. Im August erschütterte ein schweres Erdbeben die Gegend, im Städtchen Amatrice und Umgebung kamen dabei knapp 300 Menschen ums Leben. Erneut zitterte der Boden im Grenzgebiet zwischen den Regionen Latium, Abruzzen und Umbrien Ende Oktober, ein weiteres Opfer wurde von einstürzenden Gebäudeteilen erdrückt.

Dann kam Anfang Januar Kälte und heftige Schneefälle, die die verbliebene Bevölkerung erneut Kräfte abverlangte. Viele waren bereits im Herbst aus ihren beschädigten Häusern und Wohnungen in leerstehende Hotels an der Adriaküste oder im Landesinneren umgezogen. Andere sind geblieben. Und jetzt, vergangenen Mittwoch, erschütterten erneut mehrere schwere Erdstöße das Katastrophengebiet, in dem die Menschen in Zelten oder Campingwagen verharren. Tausende Haushalte haben keinen Strom.

Ein 83-Jähriger wurde bei Teramo in einem einstürzenden Stall erdrückt. Ein anderer Mann soll in der Nähe von L'Aquila von einer Lawine erfasst worden sein und gilt als vermisst. Wie es heißt, soll auch die Lawine in Rigopiano, etwa 50 Kilometer von der Küstenstadt Pescara entfernt, von den jüngsten Erdstößen ausgelöst worden sein. Wann hört dieser Alptraum endlich auf? So lautet die Frage, die sich die Menschen zwischen Norcia, Teramo, Rieti und L'Aquila schon mehr als einmal gestellt haben.

„Was haben wir getan?“

Sergio Pirotti zum Beispiel, der eher robust wirkende Bürgermeister des völlig zerstörten Städtchens Amatrice an der Ostgrenze der Region Latium, hat am Mittwoch geweint. Er konnte nicht mehr. Erst der Schnee. Eigentlich schön anzusehen, wenn man weit weg zuhause im Trockenen sitzt, der aber die nervlich angeschlagenen Einheimischen zur Verzweiflung treibt.

Dann die vier Erdstöße vom Mittwoch, die bis in die mehr als 100 Kilometer entfernte Hauptstadt Rom deutlich zu spüren waren. Menschen, die alles verloren haben, werden nicht etwa immun gegen den Schrecken. Sie haben das Gefühl, ihnen werde der Boden noch einmal unter den Füßen weggezogen. „Was haben wir getan?“, fragte Pirotti, als er von einem italienischen Fernsehsender interviewt wurde. „Das ist wie die Heuschreckenplage über Ägypten.“

Lawinenunglück in Italien
7 Bilder

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Die Schneefälle über dem italienischen Apennin sind so stark wie seit mehr als 60 Jahren nicht. Bauern, die nach den Erdbeben im Sommer und Herbst noch in der Gegend geblieben sind, staksen nun jeden Morgen aus ihren windigen Zelten und zählen ihre Schafe oder Kühe, die die eisigen Temperaturen genauso wenig gewöhnt sind wie sie selbst. Seit die Ställe zusammen gebrochen oder beschädigt wurden, stehen die Tiere im Freien, manchmal nur von dünnen Zeltplanen geschützt. Sie halten das nicht ewig aus.

Hunderte Menschen in den Regionen Abruzzen und Latium sind isoliert. In der Gegend um L'Aquila sind fast 100 000 Haushalte ohne Strom. Normalerweise wird die Gegend von Liebhabern geschätzt, die Ursprünglichkeit, Natur und Stille dem Trubel vorziehen. Hier gibt es keine großen Städte, sondern viele kleine Orte, die noch ihren Charme bewahrt haben. Die im Fall von Katastrophen aber auch besonders schwierig zu erreichen sind. Als „Gefangene des Apennins“ bezeichnete die Zeitung La Repubblica die Bevölkerung im Katastrophengebiet.

Auf tragische Weise gefangen sind auch die Gäste im Hotel „Rigopiano“. Wieviele Opfer die Katastrophe gefordert hat, war auch am Donnerstagabend noch nicht geklärt. „Es gibt viele Tote“, sagte Antonio Crocetta, einer der Retter, die sich in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag mit Tourenskiern und Stirnlampen zur Unglücksstelle aufgemacht hatten und sie erst am frühen Morgen erreichten.

„Das Hotel ist eingestürzt!"

Von einer Schneeraupe angeführt, bahnte sich am Donnerstagmorgen auch ein Hilfskonvoi den Weg durch die Schneemassen zum Hotel, das von der Lawine um bis zu 30 Meter versetzt worden sein soll. Die neun Kilometer lange Forststraße vom Ort Farindola zum abgelegen Hotel war wegen des Schnees lange unbefahrbar. Helfer berichteten von einem apokalyptischen Szenario, von Matratzen und Gegenständen, die über Dutzende Meter um das ehemalige Hotel verteilt lagen.

Ein 38-jähriger Koch, Giampiero P., der beim Abgang der Lawine nicht im Gebäude war, sondern ein Medikament aus dem Auto holte, hatte bereits am Mittwochnachmittag Alarm geschlagen. „Das Hotel ist eingestürzt, das Hotel ist eingestürzt“, mit diesem Hilferuf wandte sich der Familienvater telefonisch an einen Freund. Seine Frau und zwei Töchter im Alter von sechs und acht Jahren befänden sich noch im Hotel. Auch andere Kinder werden offenbar vermisst.

Warum sich die Rettungskräfte trotz der Hilferufe erst in der Nacht auf den Weg machten, wird noch zu klären sein. Die Staatsanwaltschaft Pescara hat ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Das Hotel „Rigopiano“ war vor Jahren bereits wegen eines Bauskandals ins Visier der Ermittler geraten. Offenbar wurde das auf 1200 Metern Höhe Hotel nicht regelkonform in ein Luxusressort umgebaut und erweitert, ein Strafverfahren mit sieben Angeklagten wurde aber im Jahr 2013 eingestellt.

Rettungsarbeiten ziehen sich hin

Die Helfer konzentrierten sich am Donnerstag darauf, Überlebende zu finden. Die ersten Bergretter hatten sich in der Nacht mit Skiern und Kopflampen auf den Weg zum auf 1200 Metern Höhe gelegenen Hotel gemacht. Denn die über neun Kilometer lange Forststraße von Farindola, dem nächsten Ort, war mit meterhohem Schnee bedeckt. Die Feuerwehr ließ Hilfskräfte per Hubschrauber über der Unglücksstelle ab.

Mit Schaufeln verschafften sich die Helfer Zugang zum Hotel. Ihre Videoaufnahmen zeigen, mit welcher Wucht sich der Schnee seinen Weg im Inneren der Struktur gebahnt hat. Zu erkennen sind eine Hotelhalle mit Schwimmbad, die Weihnachtsdekoration hängt noch. Daneben weiße Schneemassen, die sich in das Innere geschoben haben. Zu sehen ist auch ein Babybett in einem der Hotelzimmer, gleich daneben Massen von Schnee. Bis Donnerstagabend meldeten die teilweise mit Lawinenhunden aktiven Suchtrupps keinen Erfolg.

Die Rettungsarbeiten werden sich wohl noch länger hinziehen. Was bleibt, ist die Frage, wann die Erde in Mittelitalien endlich wieder Ruhe gibt. Auf sie haben auch die Geologen bislang keine Antwort.

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