Pferderennen in Großbritannien In Ascot wird die Rennbahn zum Laufsteg für Hutmode

London · Britischer als Ascot geht kaum. Fünf Tage lang steht der Ort westlich von London im Mittelpunkt. Wegen der Damen und ihrer Hüte. Und natürlich auch ein bisschen wegen der schnellen Pferde, die dort rennen.

 Auffallen ist in Ascot gar nicht so einfach. Jennifer Wrynne versucht es mit dieser Kreation.

Auffallen ist in Ascot gar nicht so einfach. Jennifer Wrynne versucht es mit dieser Kreation.

Foto: AP

Es soll ja durchaus vorkommen, dass manche der weiblichen Gäste kein einziges Pferderennen sehen, sondern nur ein Ziel verfolgen: selbst gesehen zu werden. Dafür setzen sie sich Riesenrosen auf den Kopf, einen künstlichen Pfauenvogel, bunte Plastikschmetterlinge, einen rosa Federbusch oder gleich einen Miniaturgarten. Im englischen Ascot geht es Jahr für Jahr fünf Tage lang vor allem um Hüte, Hüte. Und Hüte. Ob groß bis riesig, rot, blau, lila oder gelb, mit Kunstlilien oder Schleifchen besetzt, in Form von Hochzeitstorten oder versehen mit schrillen Blumenbouquets, breiten Krempen oder Türmen aus Tüll – der in englischer Manier zurechtgestutzte Rasen rund um die Rennbahn wird zum Laufsteg.

Immerhin, der Hut ist beim ältesten und berühmtesten Pferderennen Englands Pflicht, insbesondere im königlichen Ehrengastbereich, der Royal Enclosure. Männer müssen Zylinder tragen und Frauen befiehlt die Etikette, dass „die Basis der Kopfbedeckung einen Durchmesser von mindestens vier Zoll oder zehn Zentimetern hat“. Es wäre kaum überraschend, hätte der Wächter der Kleidervorschriften sein Maßband im Morning Suit versteckt. Abseits jenes Bereichs, wo Ihre Majestät und ihre Gäste sitzen, geht es derweil weniger streng zu, auch wenn der Dress Code eine hutlose Erscheinung hier ebenso verbietet.

Im Jahr 1711 veranstaltete Königin Anne erstmals das Gesellschaftsevent. Und bis heute bietet es Besuchern die seltene Gelegenheit, die Royals aus der Nähe zu sehen. Denn Königin Elizabeth II., begeisterte Pferdezüchterin und selbst im hohen Alter noch regelmäßig im Sattel sitzend, fungiert in der Rolle der Hausherrin und Gastgeberin. Täglich eröffnet sie das Spektakel mit der traditionellen Kutschfahrt entlang der Rennstrecke in Begleitung anderer Royals. Angeblich gehören die Ascot-Tage zu den ersten Terminen, die sich das Staatsoberhaupt jedes Jahr im Kalender anstreicht, auch weil stets eigene Pferde der Queen an den Start gehen.

Zwar gibt es in Ascot die Möglichkeit, mit dem Helikopter anzureisen – rund 400 Hubschrauber landen jedes Jahr nahe der prächtigen Anlage. Doch die meisten der rund 300 000 Besucher nehmen dann doch den Zug nach Ascot, etwa 50 Kilometer westlich von London gelegen. High Society hin oder her. Und vielleicht auch eine reine Vorsichtsmaßnahme, denn trotz des feinen Anstrichs torkeln die meisten Zuschauer am Abend zurück nach Hause. Mehr als 50 000 Flaschen Champagner werden jährlich geköpft, rund 160 000 Gläser des englischen Kultgetränks Pimm's geleert und fast 5000 Hummer verschlungen. Hinzu kommt, dass die feinen Herrschaften oder jene, die sich zumindest für einen Nachmittag diesen Kreisen zugehörig fühlen, ins Wettfieber verfallen. Es ist der Briten liebstes Hobby, und so kann in Ascot nicht nur in großem Ausmaß und Eifer auf Pferde gewettet werden, sondern auch auf die Hutfarbe der Queen.

Opulente Kopfbedeckungen gegen Leihgebühr

Die Engländer zelebrieren sich und ihre Traditionen. Keine Nation kann das besser. Gartenpartys, Hochzeiten, Poloturniere – der gesellschaftliche Kalender auf der Insel quillt derzeit über. Es herrscht Hut-Hochsaison. Und ist deshalb auch die geschäftigste Zeit für Rosie Abrahams, die den Verleih „Hectic Hat Hire“ im Londoner Stadtteil Fulham betreibt. Mehr als 600 Designer-Kopfbedeckungen in jeder erdenklichen Form und Farbe stehen normalerweise zur Auswahl. Die meisten werden dieser Tage ausgeführt – gegen eine Leihgebühr zwischen 35 und 125 Pfund, umgerechnet mehr als 140 Euro.

Eine Kundin dreht sich nun bereits seit Minuten vor dem Spiegel, kann sich nicht zwischen den beiden roten Kreationen entscheiden, die sie sich abwechselnd auf den Kopf setzt: extravagant ausladend oder blumig verspielt? Abrahams, die wie als Markenzeichen einen Fascinator in ihrer Lieblingsfarbe Pink trägt, rät in diesem Fall zum großen Hut. „Damit setzen Sie ein Statement“, sagt sie. Perfekt für Ascot. Seit einigen Jahren blüht die Hutindustrie geradezu, die Nachfrage sei so hoch wie nie zuvor, berichten Betreiber von Verleihen, Geschäftsinhaber und Designer gleichermaßen. Branchenkenner schieben das vor allem auf eine Familie: die Windsors. So hätte vor allem die Hochzeit von Prinz William und Kate Middleton das Geschäft angekurbelt, erinnert sich die Designerin Rachel Trevor-Morgan, die auch für die Queen entwirft. Hinzu kommt die Werbung, die die junge Generation, ob Herzogin von Cambridge oder die Herzogin von Sussex, mit ihren mitunter extravaganten Hüten macht. Die beiden werden ebenfalls in diesen Tagen in Ascot erwartet – vermutlich mit weniger schrillen Kopfbedeckungen. Die Hutparade überlassen sie in Ascot ausnahmsweise dem Fußvolk.

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