Jimi Hendrix und Georg Friedrich Händels Auf den Spuren zweier Weltstars der Musik

London · Der Rockvisionär und das Klassikgenie: Eine Dauerausstellung öffnet die benachbarten Wohnungen der Komponisten in der britischen Hauptstadt

 Fast genauso wie damals: Kathy Etchingham, damals Freundin von Jimi Hendrix, in dessen Wohnung seiner Zeit in London.

Fast genauso wie damals: Kathy Etchingham, damals Freundin von Jimi Hendrix, in dessen Wohnung seiner Zeit in London.

Foto: Michael Bowles

Eine Türklingel sparte er sich. Es wussten ohnehin genügend Menschen, wo Jimi Hendrix lebte. Wenn Freunde ihn besuchen kamen, schrien sie einfach von der Straße nach oben, er warf dann den Schlüssel hinunter. 23 Brook Street im Londoner Nobelviertel Mayfair. 30 Pfund pro Woche, zwei Zimmer, Küche, Bad. Es war Mitte 1968, die Zeit des „Swinging London“ und das Apartment für wenige Monate das erste wirkliche Zuhause, das die US-amerikanische Gitarrenlegende mit der damaligen Freundin Kathy Etchingham bewohnte.

Die heute wie damals feine Gegend galt wegen der Läden, Musikclubs und Restaurants als beliebt bei Pop- und Rockstars wie den Bee Gees oder den Beatles. Für Hendrix war die Wohnung seine Zuflucht. Wenn er mit Freunden Partys feierte, saßen sie auf oder neben seinem Bett, hörten Platten oder Hendrix spielte auf der Gitarre, rauchte, trank, schrieb Songs wie „Room full of Mirrors“. Weggefährten erzählen, dass er eines Nachts erschrocken aus dem pinken Badezimmer zurückkehrte. Hendrix – einige Drinks hatte er sich bereits genehmigt – sah im Spiegel „einen alten Mann im Nachthemd und mit grauem Pferdeschwanz“. Es erschien ihm der Geist Georg Friedrich Händels.

Es war purer Zufall: Mehr als 200 Jahre zuvor lebte der Komponist gleich nebenan in 25 Brook Street: Den Rockvisionär und das Klassikgenie trennten zwei Jahrhunderte und nur eine Wand. Hendrix liebte den Gedanken: „Das ist ein Haus der Musik“, befand er. Eine neue Dauerausstellung in der Londoner Brook Street gibt nun Einblicke in die Leben der ungleichen Künstler. Für „Händel & Hendrix in London“ haben die Macher die Wand durchtrennt. Besucher können im dritten Stock von Händels Wirkungsstätte zum Schlaf- und Arbeitszimmer von Hendrix, der das Gitarrenspiel revolutionierte, gehen. Der Kontrast der Einrichtung ist so stark wie jener in der Musik. Hendrix' Einrichtung ist farbenfroh, bunte Federn stecken in Vasen, die Hippiemuster und Farben der Kissen und Teppiche in indianisch-marokkanischen Stil lassen das Zimmer an einen Basar erinnern.

„Hier konnten wir wie jedes andere junge Paar sein“

Die Vorhänge blieben fast immer zugezogen, Hendrix schlief meist bis zum Nachmittag. „Hier konnten wir wie jedes andere junge Paar sein“, erinnert sich Ex-Freundin Kathy Etchingham. „Er lebte ein Zigeunerleben, und zum ersten Mal fand er eine gewisse Erholung“, so der Hendrix-Biograf Harry Shapiro. Zu 99 Prozent sah es in jener Zeit so aus, sagte Etchingham, als sie den Raum zum ersten Mal sah. Nur der Zigarettendunst ist verzogen. Jetzt klingen Gitarrenklänge aus den Boxen, anhand Videos und Fotos können Fans einen Blick zurückwerfen. In dem Raum neben dem Schlafzimmer ist die Plattensammlung von Hendrix ausgestellt.

Wenige Schritte entfernt eine andere Welt: Hier stammen die Möbel wie etwa das kurze Bett mit kardinalsrotem Baldachin aus dem 18. Jahrhundert, gehörten aber nicht Händel, der endgültig 1713 nach London zog und zum Weltstar avancierte. Nachdem der Komponist 1727 britischer Staatsbürger geworden war, verzichtete Händel auf den Umlaut in seinem Namen. In dem Haus, in dem er ab 1723 wohnte, komponierte er unter anderem die „Wassermusik“ und alle Oratorien, inklusive den „Messias“. Es waren seine produktivsten Jahre. Instrumente wie ein Pianoforte, Gemälde und Kupferstiche an den Wänden veranschaulichen, wer zu seinem Bekanntenkreis gehörte und wie es zugegangen sein muss, wenn sie die italienischen Opern übten.

„Er war so berühmt, dass jeder damals jede Note von Händel hören wollte“

London war der perfekte Ort: „In Italien gab es so viele Komponisten, dass der Markt gesättigt war“, sagt Kurator Martin Wyatt. „Aber in England war er ein großer Fisch in einem kleinen Teich.“ Seine Beziehungen zum Kurfürsten aus Hannover, der als König George I. den englischen Thron besteigen sollte, beschleunigten seinen Weg nach oben. „Er war so berühmt, dass jeder damals jede Note von Händel hören wollte“, so Wyatt.

Gibt es Parallelen zwischen dem US-Amerikaner Jimi Hendrix und dem deutsch-britischen Barock-Komponisten? „Sie standen in der Öffentlichkeit und kamen beide aus dem Ausland, waren Außenseiter in London und brachten Frische und eine Musiktradition mit, die nicht englisch war“, sagt Christian Lloyd von der Queen's University, der zu Hendrix' Jahren in London forschte. Gleichwohl erstreckte sich die Schaffenszeit von Hendrix auf deutlich weniger Jahre. Die Gitarrenlegende erstickte im Alter von 27 in einem Londoner Hotel an seinem Erbrochenem. Händel dagegen starb mit 74 Jahren in seiner Wohnung.

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