Nachruf Schriftsteller Philip Roth ist gestorben

Bonn · Mit dem Amerikaner Philip Roth stirbt einer der großen Schriftsteller der Gegenwart. Seine rund 30 Romane leuchten in Schattenzonen unserer Existenz. Ein Nachruf über den Sisyphos an der Schreibmaschine.

Nun ist die Stockholmer Schande in Grabsteinmarmor gemeißelt. Selbst wenn die Schwedische Akademie ihre internen Skandale irgendwann aufgearbeitet haben sollte: An den nun mit 85 Jahren an Herzversagen gestorbenen Philip Roth kann sie den Literaturnobelpreis nicht mehr verleihen. Und damit übergeht sie, nach seinem Kollegen John Updike, den zweiten herausragenden Autor seiner Generation.

Er war der virtuoseste Spiegelfechter der amerikanischen Literatur. Unter den Pseudonymen Nathan Zuckerman oder Peter Tarnopol hat sich Philip Roth immer wieder seinen Lesern offenbart. Oder auch nicht – schließlich galt der Mann aus Newark/New Jersey als fast zirzensischer Gaukler.

Er wuchs im kleinbürgerlichen jüdischen Milieu auf, das er als Nährboden für Neurosen und Selbstekel permanent beschwor. Schon fürs Debüt „Goodbye, Columbus“ (1959) bekam er mit 26 den „National Book Award“ – und Antisemitismusvorwürfe. Das blieb ein Leitmotiv seiner Karriere, die mit der unbefangen-obszönen Psychoanalyse „Portnoys Beschwerden“ einen Ruhmesgipfel erreichte.

„Diskretion ist nichts für einen Schriftsteller. Und Scham ebenso wenig.“ Getreu diesem Credo hat er den Platz auf der Couch lange nicht verlassen. Seine erste Frau starb zwar tatsächlich bei einem Autounfall. Aber hat sie, die in den Büchern mal Josie, mal Maureen heißt, Roth wirklich per gefälschtem Schwangerschaftstest in die Ehe gezwungen? In seiner angeblich hundertprozentig wahren Autobiografie „Tatsachen“ resümiert der Autor: „Zweifellos war sie der schlimmste Feind, den ich je hatte, doch ach, sie war auch nichts Geringeres als der allergrößte Lehrer für schöpferische Prosa.“

Mischung aus Kälte, Mitgefühl und Sarkasmus

Roth schleppte eine traumatische Tonnenlast mit selbstquälerischer Wollust durch etliche Erfolgsbücher: die „Zuckerman“-Trilogie“, „Mein Leben als Mann“ oder „Mein Leben als Sohn“. Darin beschreibt er mit Protokollpräzision und rührender Anteilnahme das Sterben seines Vaters. Nicht alles blieb unwidersprochen. Seine zweite Frau, die britische Schauspielerin Claire Bloom, porträtierte ihren Exmann in „Leaving A Doll's House“ als psychopathischen Despoten.

Ohnehin muss man all diese Erzähler, ob Nathan, Peter oder Philip nicht mögen. Doch jene Mischung aus klinischer Kälte und Mitgefühl, Sarkasmus und Melancholie macht Roths einzigartige Prosastimme aus. Der Autor hat autobiografische Kurzschlüsse stets abgelehnt: Wenn er wirklich von sich erzählte, läse man die öde Story eines Mannes, der auf eine Schreibmaschine starrt. Doch hat dieses Starren rund 30 Romane hervorgebracht, die in Schattenzonen unserer Existenz leuchten: die süße Geißel der Sexualität, die stützenden und einschnürenden Korsetts von Familie und Religion sowie das Alter als „Massaker“.

So sehr er mit dem Judentum haderte, die Zündfunken von Schuld und Reue befeuerten seine Romanmaschine. Am radikalsten wohl in „Sabbaths Theater“ (1995). Da sieht man einen dreckigen alten Mann, der seinen verschwundenen oder gestorbenen Frauen nachjammert, ein Lustmolch im Jammertal.

Figuren im Netz der Zeitgeschichte

In den letzten großen Werken hat Roth seine Figuren ins Netz der Zeitgeschichte geknüpft. „Amerikanisches Idyll“ ist Familiendrama, nationaler Schwanengesang und Lehrstück über Terrorismus, „Mein Mann, der Kommunist“ reflektiert die McCarthy-Inquisition, und „Der menschliche Makel“ philosophiert über Rassismus und vernichtende Political Correctness. Zuletzt legte Roth nur noch kurze Romane („Die Demütigung“, „Empörung“) vor. Sogar Nathan Zuckerman ließ er in „Exit Ghost“ zurückkehren.

Viele Kollegen wären froh, wenn ihnen nur eine dieser messerscharfen Miniaturen geglückt wäre. Oder ein Finale wie „Nemesis“ (2011). Hier hadert der Held im Newark von 1944 angesichts einer Polio-Epidemie mit Gott, der „nach Belieben die abscheulichsten Verbrechen verübte“.

Nein, mild ist Philip Roth im Alter nicht geworden. Nur müde wie Sisyphos. „Der Kampf mit dem Schreiben ist vorbei“, notierte er 2012 auf einem Zettel. Er wusste: „Jedes Talent hat seine Bedingungen, seine Beschaffenheit, sein Ausmaß, seine Kraft – nicht jeder kann für immer ergiebig sein.“ Und noch aus dieser kristallklaren Analyse spricht einer der ganz großen Schriftsteller unserer Zeit.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort