Rein Wolfs' Premiere Maden-Dämmerung - Ab 3. Oktober zeigt er John Bock

BONN · Er ist ein Clown und Bürgerschreck, schrill, provozierend: Der gebürtige Schleswig-Holsteiner John Bock arbeitet mit Sprache und Bildern, bizarren Installationen, flimmernden Videos, scheut weder den Ekelfaktor und chaotische Fülle noch die Askese der Leere und den dadaistische Feingeist.

Festlegen lässt er sich nicht. "Dilemma der Verneinung des Lebensernstes" lautete ein Schlagwort in einer Aktion. Seit fast zwanzig Jahren ist er im Kunstzirkus präsent, Ausstellungen über den aktuellen Zeitgeist kommen nicht ohne den jungenhaft wirkenden Mann aus, der inzwischen Kunstprofessor in Karlsruhe ist und auf die Fünfzig zugeht. Auf der documenta in Kassel hat er ebenso seine Spuren hinterlassen wie bei der Biennale in Venedig. Gerade zeigt er dort im Arsenale das kubische, minimalistische Monument für eine Made. "Die Made tanzt den Totentanz", meinte Bock im Deutschlandradio zu seiner Arbeit, "sie wird auratisiert in ein Auraaroma, produziert Milchfieber und strahlt aus auf den Rezipienten". Tja.

"Referenzen an Malerei und Architektur" macht Rein Wolfs gleichwohl bei dieser Arbeit aus - und ein echtes Überraschungsmoment. "Dafür ist John Bock gut", sagt er, der bereits 2003 an seiner früheren Wirkungsstätte im Museum Boijmans Van Beuningen in Rotterdam Bock zeigte. Zwei Jahre zuvor präsentierte Annelie Pohlen eine Bock-Schau im Bonner Kunstverein.

Wolfs, seit April Intendant der Bundeskunsthalle und in Bonn angekommen - er lebt hier, hat viele Kontakte geknüpft, war sogar bei der Eröffnung des Beethovenfests -, hat sich John Bock aus dem Örtchen Gribbohm für seine Premiere als Ausstellungsmacher in Bonn ausgesucht. Ein mutiger Schritt, weicht Wolfs doch damit von der Klassikerschiene Richter bis Baselitz und Kiefer ab und geht ganz dezidiert auf eine streitbare Position der Gegenwartskunst zu. Es wird eine fürs Bundeskunsthallen-Publikum ungewohnte Schau mit einem sperrigen, schwierigen Künstler.

Warum John Bock zur Premiere? Der Intendant nimmt Anlauf: "Es ist die Aufgabe der Bundeskunsthalle, bedeutende Künstler zu zeigen, das müssen nicht bildende Künstler sein", sagt Wolfs, der sich auch Design und Architektur in dieser Reihe vorstellen kann. "John Bock ist ein Künstler, den ich seit Jahren beobachte. Er ist an einem wichtigen Punkt angekommen, er ist der Anführer der Generation nach Kiefer, Lüpertz, Baselitz, Polke und Richter, die wir hier schon gezeigt haben." Es sei an der Zeit, diese jüngere Generation ins Licht zu rücken. Sogar Künstlerinnen, bislang nicht bedacht, sollen in der Reihe vertreten, fällt ihm nach der entsprechenden Frage ein.

Für Wolfs gehört Bock mit Jonathan Meese zum Feld einer besonderen Art von Aktionskunst, einer performativen, das Gesamtkunstwerk anstrebenden Bewegung: "Es geht darum, verschiedene Medien zusammenzuführen, Sprache, Malerei Objektkunst, Performance einzubeziehen." In diesem Bereich sei Bock eine der "großen Figuren". Die Frage, ob nicht auch Meese ein Kandidat für die Bundeskunsthalle sei, pariert Wolfs sehr diplomatisch: "Ich finde, dass John Bock fast nur gute Arbeiten gemacht hat." Meese sei ein "interessanter" Künstler, aber die Bandbreite der verschiedenen Medien sei bei Bock viel weiter. Auch dass er sich "nicht marktkonform" verhalte, nimmt Wolfs für Bock ein, "er ist authentisch geblieben".

Wolfs verspricht keine Retrospektive im klassischen Sinn, "dafür gibt es zu viele ephemere Arbeiten von John Bock, viele Installationen sind auch gar nicht transportabel". Auch sonst weicht Wolfs von den Standards der Bundeskunsthalle ab: So soll es nicht, wie bei den Werkschauen von Richter, Polke und Co. einen kritischen, wissenschaftlichen Katalog geben, sondern ein rund 900 Seiten umfassendes Künstlerbuch, in dem Bock seine Installationen und Aktionen mit Notizen, Zeichnungen und "Scripts" dokumentiert. "Für John Bock braucht man einen speziellen Zugang", sagt Wolfs. Damit die Kunstvermittlung nicht zu kurz kommt, wird Wolfs "live speakers" einsetzen, "vermittelnde Personen", die helfen, Bocks komplexe Kunst zu erklären.

Die Schau wird den Rahmen herkömmlicher Ausstellungen sprengen. In den ersten zehn Tagen soll in einem eigens eingerichteten Studio vor den Augen der Besucher ein Film entstehen. Insgesamt fünf "Lectures" werden live aufgeführt. Die Ausstellung wird "stark rhythmisiert" (Wolfs) mit eher leeren und sehr vollen Räumen, mit Bock'schen "Ikonen", "textilen Attributen" und "einem gewisser Mief" sowie den Themenfeldern Architektur und Landwirtschaft (Bocks Herkunft). Zehn Filme - vom Splatter- bis zum Mafiagenre - werden in Zweierkabinen laufen. Ein Rausch der Sinne. Titel der Schau: "John Bock. Im Modder der Summenmutation."

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