GA-Interview mit dem Autor Robert M. Sonntag „Eine Entwicklung wie im Rausch“

Bonn · Mit dem Roman „Die Scanner“ schuf Robert M. Sonntag, der mit bürgerlichem Namen Martin Schäuble heißt, eine Vision für das Jahr 2035 – unter anderem mit permanenter gegenseitiger Onlinebeobachtung und Partnerwahl mittels Algorithmen. Am 6. September liest Sonntag in der Zentrale der Deutschen Telekom. Über das Thema sprach er vorab mit Rüdiger Franz.

 In welchem Maße werden Algorithmen künftig die Menschheit prägen – oder gar beherrschen? Anlässe, über diese Frage nachzudenken, bietet der Alltag genug. Autor Robert M. Sonntag hat sich dem Thema in Romanform genähert.

In welchem Maße werden Algorithmen künftig die Menschheit prägen – oder gar beherrschen? Anlässe, über diese Frage nachzudenken, bietet der Alltag genug. Autor Robert M. Sonntag hat sich dem Thema in Romanform genähert.

Foto: Privat

Herr Sonntag, besitzen Sie ein Smartphone?

Robert M. Sonntag: Nein. Ich nutze auf Reisen ein Handymodell, das wohl inzwischen im Technikmuseum ausgestellt wird. Zu Hause ist es ausgeschaltet. Mir reicht das vollkommen. Zugegeben wird es mir zunehmend peinlich, das uralte Ding im Zug aus der Jackentasche zu ziehen.

Das klingt jetzt nicht gerade danach, als hätten Sie ständig Ihren Status auf Facebook, Twitter und Instagram im Augenwinkel...

Sonntag: Ich bin da nirgends präsent, hab also kein Gesicht auf Facebook. Doch eine eigene Homepage, das ist mir schon wichtig. Natürlich schreibe ich auch E-Mails. Doch ich checke sie nicht täglich. Wenn ich intensiv an einem neuen Buch arbeite, gibt es den E-Mail-Freitag, davor und danach bin ich offline.

Was hat Ihnen den entscheidenden Impuls gegeben, diesen Roman zu schreiben?

Sonntag: Vielleicht war es die Gratiskultur im Netz. Alle Informationen sollen kostenlos sein, auch alle Bücher und Filme. Und kostenlos gibt es keine Qualität, nur Werbung.

„Die Scanner“ spielt im Jahr 2035. Gemessen an den rasanten Innovationszyklen der letzten Jahre wirkt es zumindest in technischer Hinsicht nicht wie reine Science Fiction. Was meinen Sie: Wie realistisch ist Ihre Dystopie wirklich?

Sonntag: Ach je, Sie haben natürlich recht. Mein Buch könnte in ein paar Jahren schon ein historischer Roman sein. Vieles geht schneller, als ich es mir vorstellen konnte. Die Datenbrille war bei der Buchentstehung zum Beispiel noch kein Thema für den Massenmarkt. Nun sprechen alle davon. Im Buch trägt auch jeder so etwas.

Die Menschen in ihrem Buch sind im Wortsinne „durchschaubar“ geworden. Die Voraussetzungen schafft ein System von „Big Data“, dessen Züge wir heute schon erkennen. Ist Ihr Buch womöglich gar keine Botschaft aus der Zukunft, sondern eine Parabel über die Gegenwart nach dem Motto: Die Infokalypse ist schon da?

Sonntag: Ich wollte auch junge Leserinnen und Leser mit meinem Buch ansprechen und mit einer Dystopie geht das besser. Bei Lesungen entstehen oft Diskussionen mit der Kernfrage, sind wir nicht schon längst so w eit? Wir sammeln unsere Freunde online und finden keine Zeit mehr für die besten Freunde offline.

All die heutigen Möglichkeiten und die Mühelosigkeit der Informationsbeschaffung würden ausgesuchte Stasi-Offiziere vor Neid erblassen lassen. Wie erklären Sie die Bereitwilligkeit zur Datenpreisgabe?

Sonntag: Es geht ja oft um Selbstinszenierung. Andere sollen sehen, wie hübsch die Freundin oder der Freund ist, wie toll das Wochenende war, wie lecker das Essen geschmeckt hat und wie wundervoll mein Leben ist. Oder auch wie wundervoll schrecklich... das geht in beide Richtungen. Doch es geht häufig um sich selbst.

Und andersherum gefragt: Wird die Entwicklung mitunter eine Gegenbewegung alternativer – und analoger – Lebensentwürfe hervorrufen, wie sie in Gestalt von Chaos Computer Club und Piratenpartei schon einmal anklangen?

Sonntag: Mein bester Freund besuchte mich oft in Berlin, dort lebte ich lange. Einmal stellte er in meinem Lieblingscafé fassungslos fest: „Keiner hier hat sein Handy auf dem Tisch.“ Mir war das bis dahin gar nicht bewusst. Also muss es solche Orte geben und auch solche Menschen.

Die obligatorisch gewordene Datenbrille, fehlende Privatsphäre, totalitäre Macht über Informationen, auf Algorithmen beruhende Fernbeziehungen. All das sind Orwell'sche Szenarien. Wie viel „1984“ erleben wir heute?

Sonntag: Ich denke da eher an den alten Neil Postman und sein Buch „Wir amüsieren uns zu Tode“. Die Technik lenkt uns ab, wir laufen Pokémon spielend an unserem Leben vorbei, sitzen unserem Traumpartner in der Bar gegenüber und sind mit Whatsapp zu beschäftigt, wir bereisen Naturwunder und tyrannisieren andere dort mit unseren Selfies.

Gut, das ist die menschliche Komponente. Aber mit Blick auf die „Angebotsseite“: Wen halten Sie für das größere Problem? Konzerne, die aus Geschäftsinteressen handeln, oder Politiker, die am Machterhalt arbeiten?

Sonntag: Die Kombination macht es. Bei meinem Roman sind es ja die Politiker, die Hand in Hand mit dem Megakonzern Ultranetz arbeiten. Ich spiele quasi das Szenario einer Technik-Diktatur durch.

Wie beurteilen Sie die Rolle des Staates? Politiker, die vor dem Verlust der Privatsphäre im Internet warnen, zeigen weniger „Beißhemmung“, wenn es um Instrumente wie die Antiterrordatei oder die Bestandsdatenaukunft geht oder wenn vermeintliche „Hassbotschaften“ zu verfolgen sind. Wie janusköpfig ist die Politik?

Sonntag: Das Problem ist doch, das digitale Zeitalter entwickelt sich wie im Rausch. Wir kommen da alle nicht hinterher. Ich reiste mit meinen Büchern zuletzt durch Russland. Was ich bei Lesungen dort von dem Publikum hörte, das beunruhigte mich wirklich. Da ist meine Dystopie stellenweise schon Realität.

Halten Sie es beispielsweise für Denkbar, dass der Staat aus verunsicherten und emotionalisierten Zeiten von Terroranschlägen Nutzen zieht und Feindbilder zuspitzt, um den eigenen Einflussbereich auszubauen?

Sonntag: Ich hatte bei meiner Dystopie ganz andere Länder als Deutschland vor Augen, ehrlich gesagt. Hier gibt es doch einen regen Austausch in der Öffentlichkeit über diese Themen und Medien, die sehr kritisch berichten und das auch dürfen. Die Demokratie ist stabil. „Die Scanner“ entstand zum Beispiel in der ersten Fassung bei einer Indien-Reise. Weitere Fassungen bei Reisen in Konfliktregionen.

Zum Schluss eine technische Frage: Warum, meinen Sie, lässt sich aus bestimmten Smartphones heutzutage der Akku gar nicht mehr herausnehmen?

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