Konzert von PJ Harvey in Köln Verbeugung vor Bob Dylan

Köln · Die englische Musikerin und Indie-Ikone PJ Harvey stellt ihr aktuelles Werk „The Hope Six Demolition Project“ ins Zentrum ihres Konzerts im Kölner Palladium. Düstere Lieder von Leid und Verwüstung.

 Unheilvolles Ritual in Schwarz: PJ Harvey bei ihrem umjubelten Auftritt in Köln.

Unheilvolles Ritual in Schwarz: PJ Harvey bei ihrem umjubelten Auftritt in Köln.

Foto: KR

Die erste Zugabe ist eine Verbeugung vor dem diesjährigen Literaturnobelpreisträger. PJ Harvey singt Dylans „Highway 61 Revisited“, ein Lied über eine kaputte, brutale, völlig irrsinnige Welt, in der Gott Abraham auffordert, ihm seinen Sohn zu opfern und in der ein verkrachter Zocker und ein geschäftstüchtiger Veranstalter den Dritten Weltkrieg vom Zaun brechen – nachdem sie vorher Tribünen für die Zuschauer aufgestellt haben. Das Stück hatte Harvey schon sehr früh aufgenommen, 1993, als sie musikalisch noch dem gitarrenlastigen Grunge und der Riot Grrrl-Bewegung nahestand, doch inhaltlich passt es heute besser denn je.

Schließlich verarbeitet die englische Musikerin und Indie-Ikone auf ihrem aktuellen Werk „The Hope Six Demolition Project“, das im Zentrum ihres Konzerts im Kölner Palladium stand, Eindrücke aus Afghanistan, dem Kosovo und den Slums von Washington D. C., erzählt von Völkermord, Verwüstung, Elend und Gewalt. Protestsongs oder vertonte Reportagen sind das keineswegs, eher apokalyptische Bilder aus einer Welt, in der sich die Zivilisation gegen die Menschen wendet und in der die einzige „Hoffnung“ der Machtlosen in der Eröffnung eines dieser seelenlosen Einkaufszentren um die Ecke besteht: Die Zeile „They’re gonna put a Wal-Mart here“ singen PJ Harvey und ihre neunköpfige Band als euphorisierender Chor – und mit böser Ironie .

Den zumeist kurzen Liedern hat Harvey eine geradezu verschwenderische Menge an musikalischen Einfällen beigegeben – auch hinsichtlich der Arrangements: Stets ist der Einfluss von Gospel und Blues spürbar, ohne dass die Formen direkt übernommen würden, harsche Rhythmen werden mit Pauken vorangetrieben, drei Saxophone blasen zur Attacke, dissonante Soli wechseln mit geisterhaften Piano-Einsätzen und tribalistischen Chants ab.

Dazwischen gibt es keine Ansprache ans Publikum, gibt es kein Lächeln, das Ganze wirkt wie eine Inszenierung, ein unheilvolles Ritual in Schwarz vor archaisch-primitivem Bühnenhintergrund, in dessen Mittelpunkt PJ Harvey mit eindringlich-beschwörender Stimme und dramatischen Posen die Rolle der heidnischen Priesterin spielt.

Oder wie ein Höllen-Wesen auf einer Tafel von Hieronymus Bosch: Den Teufel hatte sie ja schon früher besungen, als Liebhaber gar, und spielt aus dieser Phase zwischendurch Stücke wie „To bring you my Love“ oder „Down by the Water“. Und als frenetisch geforderte letzte Zugabe kommt dann „Is this Desire?“, ein zaghaftes Liebeslied. Also doch Grund zur Hoffnung? Bei PJ Harvey darf man skeptisch bleiben – aber wenn schon der Untergang unvermeidlich ist, dann hat wenigstens die Musik dazu Klasse.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Fans gehen neben einem Auto der
„Die Bedrohungslage ist hoch“
Bundesinnenministerin Nancy Faeser im Gespräch„Die Bedrohungslage ist hoch“
Aus dem Ressort