Regisseur Andrzej Wajda gestorben Polens Abgründe ausgeleuchtet

Bonn · Der bedeutende Filmregisseur Andrzej Wajda ist mit 90 Jahren gestorben. Er erhielt einen Ehren-Oscar, den Berlinale-Preis fürs Lebenswerk und weltweiter Respekt.

 Erinnerung an Lech Walesa: Regisseur Andrzej Wajda bei der Pressekonferenz zu seinem Film „Der Mann aus Hoffnung“. FOTO: AFP

Erinnerung an Lech Walesa: Regisseur Andrzej Wajda bei der Pressekonferenz zu seinem Film „Der Mann aus Hoffnung“. FOTO: AFP

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Symbolfigur, moralische Instanz, – zum Tod Andrzej Wajdas wird wieder das ganz große Begriffsbesteck ausgepackt. Einerseits wird dies Polens bedeutendstem Filmregisseur gerecht, andererseits sah er sich selbst nüchterner als „Stimme der Nation, die nicht frei sprechen konnte“. Niemand hat Polens historische Abgründe zwischen NS-Grauen und Stalinismus schonungsloser ausgeleuchtet, kaum jemand wurde dabei von der Zensur argwöhnischer betrachtet. Und er wusste damit umzugehen. Gib ihnen Sätze, die sie herausstreichen können, aber erzähle in subversiven Bildern.

Etwa in „Asche und Diamant“, der Polen 1945 just in jenem Moment zeigt, als die Kommunisten den totalitären Part der Nazis übernehmen. Für den Widerstandskämpfer Maciek ändern sich nur die Ziele, und Zbigniew Cybulski spielt diesen Attentäter mit seiner dunklen Sonnenbrille unwiderstehlich. Wajda: „In seiner spezifischen Art schwang jenes ,Etwas' mit, das damals eine politische Unanständigkeit bedeutete.“ Was nichts daran ändert, dass Maciek am Ende auf einer Müllhalde krepiert.

Der Mensch im blutigen Malstrom der Geschichte war Wajdas großes Thema, das er nie pauschal, sondern mit Blick auf das lebenshungrige, todgeweihte Individuum verfolgte. Man sah maßloses Leid unter deutscher Besatzung („Eine Generation“, 1955) oder beim scheiternden Warschauer Aufstand („Der Kanal“, 1957). In diesem zweiten Film ließ der 31-jährige Absolvent der Filmhochschule Lodz die Fluchthoffnungen aller Figuren tragisch zerplatzen und gewann den Jury-Spezialpreis in Cannes.

Bewies er im Frühwerk, wie gut er die spröde Bildpoesie der italienischen Neorealisten in seine Heimat übersetzte, so wählte er später komplexere Formen. „Der Mann aus Marmor“ zeigt, wie eine Filmstudentin bei ihrem Abschlusswerk über einen „Helden der Arbeit“ mit den Lebenslügen des Kommunismus konfrontiert wird. „Der Mann aus Eisen“ schließlich erzählt die schmerzvolle Geburt von Solidarnosc aus der bizarren Perspektive des korrupten Redakteurs Winkel. Lohn der formalen wie dramaturgischen Brillanz: die Goldene Palme von Cannes (1981).

Wie sehr Polens Wunden auch die seinen waren, enthüllte der Regisseur erst 2007: Da verfilmte er die 1943 von Stalins Schergen begangenen, aber den Deutschen untergeschobenen „Massaker von Katyn“. Und denen war als Offizier auch sein lange nur vermisst geglaubter Vater zum Opfer gefallen.

Ehren-Oscar, Berlinale-Preis fürs Lebenswerk und weltweiter Respekt verstellten bisweilen den Blick auf funkelnde Facetten des Werks: die tragisch verschattete Sinnlichkeit der „Mädchen von Wilko“, die Selbstreflexion in „Der Dirigent“ oder die Fellini-Spiegelfechtereien in „Alles zu verkaufen“.

Er huldigte seinem Freund, dem Streikführer Lech Walesa

Jedoch kehrte Wajda von solchen Ausflügen (auch in die Theaterregie) immer wieder zur Zeitgeschichte zurück. Er huldigte seinem Freund, dem Streikführer und späteren Präsidenten Lech Walesa, mit „Der Mann aus Hoffnung“ und saß selbst von 1989 bis 1991 als Solidarnosc-Kandidat im polnischen Senat. Zum 90. Geburtstag am 6. März diesen Jahres hatte er sich vergebens gewünscht, sein Land möge zur politischen Kultur jener Jahre zurückkehren.

Doch womöglich gibt es für diesen bescheidenen Giganten ein posthumes Geschenk: Andrzej Wajdas letztes Werk erzählt vom Avantgardemaler Wladyslaw Strzeminski. Diesem verdunkelte in den 40er Jahren ein Stalin-Plakat die Wohnung. Der Künstler öffnete das Fenster und zerschlitzte das Porträt. „Nachbild“ ist der jetzt noch beziehungsreichere Titel dieses filmischen Vermächtnisses, das für den Auslands-Oscar nominiert ist.

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