"Spätdienst" Martin Walsers neues Buch nähert sich dem Tod

Martin Walsers neues Buch „Spätdienst“ spiegelt Todesnähe und zugleich die ungeheure Altersproduktivität des Schriftstellers. Nur ganz kurz blitzt Politisches auf.

 Wer gibt der Hülle den Rest? Der Schriftsteller Martin Walser, aufgenommen 2015.

Wer gibt der Hülle den Rest? Der Schriftsteller Martin Walser, aufgenommen 2015.

Foto: dpa

Die Tage vergehen von selbst,/ ich mische mich nicht ein,/ ich bin ein Fleck, der trocknet,/ ich werde gewesen sein.“ Martin Walser (91) tritt in seinem neuen Buch zum „Spätdienst“ an, zu einer Schicht in beklemmender Todesnähe, der die ungeheure Altersproduktivität des Schriftstellers zugleich heftig widerspricht. Schon seine letzten Romane („Gar alles oder Briefe an eine unbekannte Geliebte“, „Statt etwas oder Der letzte Rank“) verrieten einen Hang zum aphoristischen Selbstgespräch, und der aktuelle Band versammelt ausschließlich lyrische Echos der Vergänglichkeit.

Die können ziemlich krass klingen: „Das Leben hat sich aus mir zurückgezogen. Wer gibt der Hülle den Rest?“ Doch so ungeschminkt Walser auch das „Zermalmungstheater“ oder „die Höllenhaftigkeit der Existenz“ beschwört, so sagt er sich zugleich: „Ich muss das Leben preisen.“

Viele dieser gesammelten Stenogramme haben die Unmittelbarkeit und Intimität von Tagebuchnotizen, wobei der Autor weiterhin einer einsamen Sprachschönheit huldigt. „Silbersilben schickt der Bach ins Tal“, heißt es da, oder „Schmetterlinge sollen erzählen, wie wir gewesen sind.“

Walser reflektiert sich selbst

Dennoch sind eher die Würmer das Wappentier dieses Zwiegesprächs zwischen Todessehnsucht und Lebensgier. Dessen Widersprüchen ist sich Walser wohl bewusst: „Ich schau dem Tod ins Gesicht und sag: Es gibt dich nicht.“ Überhaupt blickt der Verfasser selbstkritisch in den Spiegel und erkennt: „Ich widme mich meinem Verfall, ich feiere mein Vergehen.“ Obwohl es da wenig zu feiern gibt und Walser kurz damit zu liebäugeln scheint, die drohende Kündigung seines Körpers anzunehmen.

In den verzweifeltsten Momenten will der fast manisch Schreibende sogar die Wörter aufgeben – „sie haben nichts genützt“. Doch noch preisen sie das satte Grün der Gräser, den Blauschimmer der Berge, das Herbstgold. „Die Sonne scheint mir ins Gesicht, als meinte sie mich.“ Nur dass Schönheit nun zum Stachel wird. Selten ist der Autor im Blick auf die physische Hinfälligkeit nah an der Drastik von Gottfried Benn, meist gewinnt er der Vergänglichkeit romantische Bilder ab: „Es tanzen die Blätter im Wind,/ wissen nicht,/ dass sie am Fallen sind.“

Kaum politische Statements

Nur ganz kurz blitzt Politisches auf, eher schon die Liebe und vor allem das alte Motiv der Verletzlichkeit durch Kritik. Den schon 2015 gestorbenen Hellmuth Karasek nimmt er sich vor, dem ebenfalls toten Frank Schirrmacher sieht er immer noch Klingen aus den Händen wachsen. Außerdem im sarkastischen Visier: „Killer“ Elmar Krekeler, einige „Spiegel“-Autoren und Robin Detje („Die Zeit“): „Sand in Sicht, schreit die Robbe Detje und rudert an Land und setzt ihre seichten Gedanken voll in den Sand.“ Aber der scharfzüngige Mann aus Wasserburg kann auch loben: So dankt er etwa Heinrich Böll, dem „Radikalen aus Köln“, oder zieht den Hut vor dem 89-jährigen Kollegen Hans Magnus Enzensberger.

Gewiss klingt dieser „Spätdienst“ über weite Strecken wie ein Requiem, ein Vermächtnis. Umso erfreuter erfährt man von der Premierenlesung im Literaturhaus Stuttgart, bei der Walser schon vom übernächsten Buch, von seiner Bewunderung für Angela Merkel und dem Faible fürs Lottospielen sprach.

„Leben ist mir zur Gewohnheit geworden“, gibt er bei aller Endzeit-Tristesse zu, gegen die es nur eine Rüstung gebe: „Sich in Verse hüllen, als wären es Schutzgewänder.“ Denn ein schönes Gedicht erhelle selbst die tiefste Schwärze – was dieses Buch eindrucksvoll beweist.

Martin Walser: Spätdienst. Bekenntnis und Stimmung. Rowohlt Verlag, 208 S., 20 Euro.

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