Flüchtlinge in Südeuropa Die spanische Methode

Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht die Flüchtlingskrise die Politiker und Medien in Deutschland beschäftigt. Als das Thema schon zu Beginn des 21. Jahrhunderts unser liebstes Urlaubsland täglich in Atem hielt, interessierte sich hierzulande fast niemand dafür. Spanien hat einen Weg gewählt, damit umzugehen. Soll Europa davon lernen?

 Europas Grenze auf afrikanischem Boden: Zaun und Wächter der spanischen Exklave Ceuta.

Europas Grenze auf afrikanischem Boden: Zaun und Wächter der spanischen Exklave Ceuta.

Foto: picture alliance / dpa

Spanien praktiziert ein Drei-Säulen-Modell gegen den Flüchtlingsstrom: die Blockade der Fluchtrouten, die schnelle Abschiebung illegaler Einwanderer sowie diplomatische Verhandlungen mit den Herkunftsländern, gepaart mit stattlicher Entwicklungshilfe.

Mit diesem Rezept begann das Königreich schon vor zehn Jahren jenen Migrantenstrom erfolgreich zu reduzieren, der damals von Westafrika aus über den Atlantik die Kanaren erreichte und die spanischen Urlaubsinseln an den Rand des Kollapses brachte.

Die Strategie ging auf: 2006 strandeten noch nahezu 32 000 afrikanische Boat-People auf den Kanarischen Inseln, im Jahr 2015 nur noch knapp 900. Auch im westlichen Mittelmeer, an der Straße von Gibraltar, dem schmalen Meeresgraben zwischen Nordafrika und Spanien, ging die Zahl der Bootsflüchtlinge zurück und ist, verglichen mit der Lage in Griechenland und Italien, heute eher unerheblich. Selbst marokkanische Flüchtlinge, denen von der nördlichen Küste ihres Heimatlandes aus die Südküste Andalusiens zum Greifen nah erscheint, wählen heute den Umweg über die östliche Mittelmeerregion.

Insgesamt wurden an Spaniens Küsten vergangenes Jahr etwa 4200 Bootsflüchtlinge registriert. Vor zehn Jahren lag die Zahl noch bei rund 40.000. Spanien sei mit seinem Kampf gegen die illegale Einwanderung "ein Beispiel, dem man folgen sollte", beschwört Madrids Regierungschef Mariano Rajoy seine EU-Kollegen. Auch bei der EU-Grenzschutzagentur Frontex in Warschau findet man, dass Europa vom spanischen Königreich lernen könne. Die westafrikanische Route sei von Spanien "wirkungsvoll gesperrt" worden, lobt Frontex. Das hohe Risiko für Migranten, auf dem Seeweg zu den Kanaren abgefangen und gleich wieder abgeschoben zu werden, trage zweifellos zur Abschreckung bei.

Die Szenen im Jahr 2006 glichen jenen, die sich heute an Italiens und Griechenlands Küsten abspielen: Eine Armada von Flüchtlingsbooten landete im Süden Teneriffas, Gran Canarias und Fuerteventuras. Die meisten waren an der Küste Mauretaniens und Senegals gestartet. Tausende Menschen sollen damals ertrunken sein. Nach Schätzungen von Hilfsorganisationen sank etwa die Hälfte der Fischerkähne mitsamt Insassen während der tagelangen Seefahrt.

Spanien startete damals eine Offensive, um die Migration in enger Zusammenarbeit mit den Herkunftsländern zu stoppen: Der spanische Grenzschutz, unterstützt von einheimischen Sicherheitskräften, begann vor Westafrika mit Schiffen und Flugzeugen zu patrouillieren. Fluchtboote wurden noch in Küstennähe gestoppt und zurückgeschickt. Nach Fluchtgründen wie etwa einer politischen Verfolgung wurde dabei freilich erst gar nicht gefragt.

Die Blockade funktionierte: Nach 32.000 Bootsmigranten im Jahr 2006 schafften es ein Jahr später nur noch 12.000 bis auf die Kanaren. Und im vergangenen Jahr 2015 waren es weniger als 1000. Spaniens Küstenwache ist bis heute in Westafrika vor Ort, geht dort zusammen mit den örtlichen Sicherheitskräften auch gegen Schlepperbanden vor und sorgt dafür, dass die Flüchtlingsboote gar nicht erst losfahren.

Auch an der Landgrenze zwischen Mauretanien und der von Marokko besetzten Westsahara sind spanische Grenzpolizisten stationiert. Die spanischen Beamten schulen die mauretanischen Kollegen zum Beispiel darin, wie man falsche Ausweispapiere erkennt. Zudem machen die Spanier hier Fotokopien von den Pässen all jener, die Richtung Marokko weiterreisen. Migranten, die dann von Marokkos Küste aus nach Spanien übersetzen und bei der Ankunft auf spanischem Boden ihre Herkunft verschleiern wollen, können mit Hilfe dieser nach Spanien übermittelten Kopien leichter identifiziert werden.

Westafrikanische Regierungen wurden mit millionenschweren Entwicklungsprogrammen, militärischer Hilfe und politischer Anerkennung dazu bewogen, mit Spanien zusammenzuarbeiten. Spots in westafrikanischen Fernsehsendern klärten derweil über die Ungewissheit und die lebensbedrohlichen Gefahren einer Bootsflucht nach Europa auf. "Tausende sind auf der Reise gestorben. Riskiere nicht dein Leben für nichts. Du bist die Zukunft Afrikas", hieß es in einem Video, das mit Bildern von toten Migranten schockte. Zugleich handelte Madrid Rückführungsabkommen aus, um die schnelle Abschiebung von Illegalen zu ermöglichen.

Im Falle Mauretaniens werden Abschiebungen zum Teil schon 48 Stunden nach der Ankunft mauretanischer Migranten in Spanien vorgenommen. Die Rückführung ist freilich auch in Spanien oft kompliziert, weil die Bootsmigranten üblicherweise ihre Papiere über Bord werfen - was Identifizierung und Abschiebung erschwert. Dennoch wurden schon Zigtausende mit Flugzeugen oder Schiffen zwangsweise zurücktransportiert. Zuweilen unter großer Geheimhaltung, weil die Bilder von gefesselten, weinenden und um ein Bleiberecht flehenden Afrikanern für Proteste sorgten.

Selten hält Spanien die internationale Flüchtlingskonvention ein, nach welcher der Schutzanspruch vor einer Abschiebung geprüft werden muss. Vor allem an den Grenzen der beiden spanischen Nordafrika-Exklaven Melilla und Ceuta werden Flüchtlinge, die auf spanischer Seite des Grenzzauns erwischt werden, oft sofort und mit Zwang auf marokkanischen Boden befördert, wo ihnen, so berichten Menschenrechtler, Misshandlung durch die marokkanische Polizei droht. Inzwischen brachten Flüchtlingsorganisationen den spanischen Staat wegen dieser zweifelhaften Abschiebepraxis vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, der nun über die Klage entscheiden muss.

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