Die Show Vida! Argentino im Pantheon Das Spiel der Gegensätze

BONN · Nicole Nau und Luis Pereyra gastieren mit „Vida! Argentino“ der Company El Sonido de mi Tierra und dem Matias Rubino Cuarteto zwei Tage lang im Pantheon. Die Show feiert Tradition, Folklore und Lebensart ihrer Heimat und deren Essenz – den Tango.

 Sinnlichkeit pur: Nicole und Luis Pereyra in der Show "The Great Dance of Argentina.

Sinnlichkeit pur: Nicole und Luis Pereyra in der Show "The Great Dance of Argentina.

Foto: Nicole Nau

Eine Frau im geblümten Kleid schreitet von links nach rechts über die Bühne. Sie trägt auf ihren Händen einen langen Zweig mit roten Blüten – hingebungsvoll wie die männliche Stimme, die im Hintergrund dazu singt. Sie hält den Zweig hoch, schaut zu ihm auf. Sie legt ihn ein Stück weiter auf dem Boden ab, kniet daneben; streicht sanft mit der Hand über die Blüten, in Gedanken versunken. So bemerkt sie auch den Mann nicht, der – ganz in Schwarz – ebenfalls von links herankommt, der sich rechts neben ihr aufbaut: die Hände am Gürtel, breitbeinig, in Positur.

Die Frau richtet sich auf, dreht sich um und schaut ihn direkt an. Die ersten Schritte: vis-à-vis, noch ohne Berührung. Bevor er den linken Arm weit ausstreckt und ihr seine Hand bietet. Sie legt ihre hinein, und sie beginnen zu tanzen – Tango Argentino, eine Melodie mit melancholischen Streichern. Es ist der erste gemeinsame Auftritt von Nicole Nau und Luis Pereyra in ihrer neuen Show „Vida! Argentino“, mit der sie gerade auf Europa-Tournee sind; mit der Company El Sonido de mi Tierra und Live-Musik des Matias Rubino Cuarteto. Zweieinhalb Stunden wird getanzt und getrommelt, gesteppt, gesungen und mit dem Boleadoras auf den Boden geschlagen – Kugeln, mit denen die Gauchos früher Tiere gefangen haben und die seit den 1940er Jahren auch als Perkussionsinstrumente eingesetzt werden.

„Vida Argentino!“ ist mehr als Tango. So wie der Tango in seinem Heimatland und in der Heimatstadt Buenos Aires einer von 200 populären Tänzen ist. Einer jedoch, der Anfang des 20. Jahrhunderts zum immateriellen Exportgut Argentiniens weltweit avancierte. „Und den man erst richtig tanzen kann, wenn man das Land, seine Tradition und Folklore zu verstehen beginnt.“

Sagt Nicole Nau, und das kann man ihr Wort für Wort glauben. Denn die gebürtige Düsseldorferin, die – vom Gastspiel „Tango Argentino“ im deutschen Theater in München elektrisiert – 1987 nach Buenos Aires auszog, um binnen sechs Wochen genau so tanzen zu lernen, hat sich erst in den Tango verliebt, dann das Land, aus dem er stammt, und schließlich in den Mann, der sie lehrte, dieses Stück argentinischer Kultur mit den Augen einer Argentinierin zu sehen.

„Denn der Tango Argentino“, erklärt sie beim Interview in einem Bonner Café, „ist von seinem Ursprung her ganz anders als das, was viele hierzulande daraus machen wollen.“ Anders als all die erotisch aufgeladenen Klischees, um Touristen zu beglücken, die erwarten, dass in Buenos Aires an jeder Straßenecke und in jeder Milonga Tango getanzt werde.

Nicole Nau schüttelt lächelnd den Kopf. „Als ich damals in dieser Millionenmetropole ankam, habe ich eine große, zementgraue und lärmende Stadt vorgefunden. Ich flog 14 000 Kilometer, um zu entdecken, dass es in Buenos Aires gar keinen Tango mehr gab“, erinnert sie sich. „Der Tourismus hält ihn aufrecht; nicht die Argentinier selbst. Und das ist im Grunde auch bis heute so. Die Argentinier tanzen Chacarera. Und die, die Tango tanzen können, gehen damit auf Tournee“, fügt sie mit Augenzwinkern hinzu.

So wie sie und ihr Mann, die für ihre oft restlos ausverkauften Shows so viele Preise gewonnen haben, dass es müßig wäre, sie an dieser Stelle alle aufzählen zu wollen. Vielleicht nur so viel: In ihrer Wahlheimat ist Nicole Nau ein gefeierter Star und als „beste Tangotänzerin“ auf zwei argentinischen Briefmarken zu sehen. Das war sie schon, als sie 2001 Luis Pereyra traf, der seit seinem fünften Lebensjahr tanzt und der als Choreograph für das Musical „Tango Argentino“ im Jahr 2000 in New York mit dem Tony Award, dem Oscar des Theaters, ausgezeichnet wurde.

Was also macht für Nicole Nau das Wesen des Tango aus? „Es ist ein Tanz der Extreme, ein Spiel der Gegensätze: Schwarz und Weiß, Sehnsucht und Rebellion, Leidenschaft und Zurückweisung, Liebe und Tod. Wie zwei Magneten, die einander anziehen und abstoßen. Der Tango hat eine ganz klare Rollenverteilung: Männer sind Männer, Frauen sind Frauen“. Sagt sie bestimmt, mit beiden Handkanten auf dem Tisch, als würden sie im nächsten Moment selbst zu tanzen beginnen. „Der Mann führt. Die Frau interpretiert. Der Tango hat einzelne Elemente, die man wie das Alphabet beherrschen muss, um ihn interpretieren zu können. Luis zum Beispiel baut die komplette Show selbst wie einen Tango auf. Es gibt die Einleitung, Melodie A, Melodie B – die Gegenmelodie, ein Adagio und eine Variation, dann die Variation schneller Schritte. Es ist ein Zusammenspiel mehrerer Elemente.“ So wie es nicht nur den leidenschaftlichen Tango der 1940er Jahre gibt, Wange an Wange, sondern schier unzählige Spielarten. „Stellen Sie sich vor, jemand würde Sie damit beauftragen, aus 100 Jahren Popmusik eine einzige Show zu kreieren. Was für eine Herausforderung. So ist auch der Tango – mehr als ein Tanz, sondern eine ganze Kultur.“

Die oft und gern zitierte Leidenschaft liegt jedoch nicht im Blick, sondern darin, was die Beine des Mannes und der Frau tanzen, und im Raum dazwischen. „Wir beide interpretieren mit den Füßen, was der Musiker mit seinen Händen tut.“ Was macht für Nicole Nau gute Tangotänzer aus? „Er muss führen können, und er muss ein gutes Ohr haben. Sie muss ihre Rolle kennen und sie ausfüllen, sie interpretieren und nicht folgen. Das verlangt Stärke. Sie darf die weibliche Koketterie niemals vor den Tanz stellen.“

Für Nicole Nau – im roten Kleid mit Engelsflügeln das Markenzeichen der Company – ist es essenziell, den Tango so zu tanzen, wie er in seinen Anfangstagen getanzt wurde. „Etwas wirklich Neues“, sagt sie, „schaffst du nur aus den Wurzeln. Schnittblumen gehen viel zu schnell kaputt. Der Mainstream verwässert den Tango, der Kommerz hat ihn gepackt. So viele springen auf den Zug auf, geben dem Tango aber ihrerseits nichts zurück. Das saugt ihn auf Dauer aus.“

Erstarrt in Konsens, Standards, Weltmeisterschaften und Punktesystemen, über denen das Ursprüngliche nach und nach in Vergessenheit gerate. „Ich bin gegen Einordnungen wie Bühnen- oder Salontango. Der Tanz ist, was er ist. Er braucht Spielräume, um ein ganzes Volk unterzubringen.“

Und was könnten wir hierzulande von ihm lernen? Nicole Nau lacht herzlich, rührt ihren Caffé Latte um: „Der Tango tut den Deutschen gut, weil er vieles in Bewegung bringt. Er will aber nicht analysiert werden. Ein gute Übung, um auch mal Kontrolle abzugeben und nicht alles in kontrollierte Grauwerte zu bringen.“

Dass der Tango das Leitmotiv ihrer Show ist, aber bei weitem nicht das einzige Element an solch einem Abend, muss kein Widerspruch sein. Im Gegenteil. „Der Applaus, die Verbeugung gilt der Kultur, die wir repräsentieren“, bringt Nicole Nau es abschließend auf den Punkt. „Ich sehe uns als Botschafter dieses Lebensgefühls, der argentinischen Art zu sein. Wir geben auf der Bühne alles von uns; alles, was wir sind.“

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