Premiere im Kleinen Theater Bezaubernd ungleiches Paar
Bonn · Andreas Lachnit inszeniert „Miss Daisy und ihr Chauffeur“ am Kleinen Theater. Das Drama handelt vor allem vom Beginn einer wunderbaren Freundschaft und vom Älterwerden.
Der Wagen ist hin, und die Versicherung hat gekündigt. Denn die 72-jährige Daisy Werthan, wohlhabende Witwe eines jüdischen Textilfabrikanten, ist zwar begeisterte Fahrerin, aber die Autos landen immer öfter nicht ganz dort, wohin sie sie zu steuern meint. Bevor die alte Dame noch weitere Unfälle baut, engagiert ihr Sohn Boolie einen Chauffeur. Den auch nicht mehr ganz jungen Afroamerikaner Hoke Colburn. Miss Daisy ist wütend: Vor allem wegen der Bevormundung und der Sorge um ihre Unabhängigkeit. Außerdem ist es ungehörig, seinen Reichtum zu zeigen, indem man sich von einem Angestellten herumkutschieren lässt. Erst recht nicht von einem Schwarzen.
Um Rassendiskriminierung und Vorurteile geht es durchaus in der 1987 uraufgeführten Tragikomödie „Miss Daisy und ihr Chauffeur“ von Alfred Uhry, die 1989 erfolgreich verfilmt und mit vier Oscars prämiert wurde. Die Geschichte spielt aus guten Gründen in Atlanta, der Heimatstadt des Bürgerrechtlers Martin Luther King. Gegen Ende wird Miss Daisy ihren Chauffeur zu einem Gala-Dinner mit dem Friedensnobelpreisträger einladen. Denn das Drama handelt vor allem vom Beginn einer wunderbaren Freundschaft und vom Älterwerden. Im Kleinen Theater hat Andreas Lachnit (in Bonn vor allem bekannt durch seine zahlreichen Regiearbeiten am Jungen Theater) das Stück neu inszeniert. Erfrischend unsentimental und deshalb besonders berührend. Die sich über rund ein Vierteljahrhundert erstreckende Szenenfolge wirft präzise Schlaglichter auf die psychischen und physischen Veränderungen der drei Figuren dieses leisen Kammerspiels.
Geradezu oscarreif verkörpert Dagmar von Kurmin die Titelrolle, die sie bereits im Herbst 2005 am Kleinen Theater spielte. Ihre Miss Daisy ist selbstbewusst, starrköpfig, pedantisch auf ihren gesellschaftlichen Status fixiert. Eine eiserne Lady, die sich keinen emotionalen Ausrutscher erlaubt. Bewaffnet mit messerscharfer Intelligenz, eisiger Ironie und einer Menge höchst eleganter Bekleidung (Kostüme: Sylvia Rüger). Ein verdammt harter Brocken für den treuen Boolie. Karl-Heinz Dickmann spielt überzeugend den in die Jahre gekommenen Wirtschaftsboss, der seufzend alle mütterlichen Launen erträgt. Ein echtes Geschenk ist der aus Kino und TV bekannte Schauspieler Pierre Sanoussi-Bliss in der Rolle des Hoke. Eben weil er Miss Daisy nichts schenkt, sondern ihrer spitzen Zunge mit frecher Schnauze begegnet. Listig steigert er sein von Boolie bezahltes Gehalt, schiebt brav die alten Straßenkreuzer (witziges Bühnenbild: Mario Clos) nach vorn und steuert jeden Wagen trotz Daisys Landkarten ungerührt ans Ziel.
Die ehemalige Grundschullehrerin verpasst ihm dafür einen Alphabetisierungs-Schnellkurs und lernt seine Hilfsbereitschaft zu schätzen. Bis zum bitteren Ende: Daisy dement im noblen Seniorenheim; Hoke ist mit dem Bus gekommen (den Führerschein gab er wegen der zunehmenden Erblindung ab) und füttert sie mit ihrem Lieblingskuchen. Ein bezaubernd ungleiches altes Paar – zusammengeschweißt durch gemeinsame Lebenserfahrungen. Fassungslos standen beide einst vor der von einem Bombenanschlag zerstörten Synagoge, zu der Hoke seine Chefin regelmäßig chauffierte. Entsetzt erlebten sie die Ermordung des schwarzen Baptistenpfarrers. Zwei völlig unterschiedlich Ausgegrenzte. Die mit viel Premierenbeifall belohnte Aufführung ist ein eher zärtliches als kämpferisches Plädoyer für Toleranz und Mitmenschlichkeit.
Vorläufig letzte Aufführung am Donnerstag, 20 Uhr, im Kleinen Theater. Die Vorstellung ist ausverkauft, Restkarten mit etwas Glück an der Abendkasse. Die Produktion geht dann auf Gastspiel-Tour durch diverse deutsche Städte. Der Intendant des Kleinen Theaters arbeitet jedoch schon an Terminen für die kommende Saison in Bad Godesberg.
