Der Mensch wird zum Spielball Ausstellung im Kunstverein

Bonn · Zwischen Euphorie und Skepsis: Eine Ausstellung über Kunst und künstliche Intelligenz im Bonner Kunstverein mit 250 Objekten von 36 internationalen Künstlern

Blick in den Kunstverein: Yuri Pattisons Überwachungszentrale und das „Quasi Object“, ein Fußball von Agnieszka Kurant, der 100 000 Online-Kicks gespeichert hat und eigenständig seine Kreise zieht.

Blick in den Kunstverein: Yuri Pattisons Überwachungszentrale und das „Quasi Object“, ein Fußball von Agnieszka Kurant, der 100 000 Online-Kicks gespeichert hat und eigenständig seine Kreise zieht.

Foto: Benjamin Westhoff

Der von Christopher Strachey für den Ferranti Mark 1, dem zweiten kommerziellen Universal Computer nach dem Zuse Z 4, entwickelte Liebesbrief-Algorithmus schenkte uns 1952 die ersten Texte digitaler Literatur. Drei Jahre später prägt der Computerfachmann John McCarthy in New Hampshire den Begriff künstliche Intelligenz. Und nur ein Jahr später reagiert erstmals die Kunst: In der Londoner Whitechapel Art Gallery startet 1956 die Schau „This is Tomorrow“ unter anderem mit den Pop-Art-Wegbereitern Eduardo Paolozzi und Richard Hamilton. Die Einführungsrede hielt der Roboter Robby aus dem Science-Fiction-Film „Forbidden Planet“ (in Deutschland: „Alarm im Weltall“).

Die Eröffnungsreden am Donnerstagabend im Bonner Kunstverein wurden von echten Menschen gehalten: Allen voran von Direktorin Michelle Cotton, die mit der Schau „The Policeman's Beard is Half Constructed: Kunst im Zeitalter künstlicher Intelligenz“ einen ganz großen Wurf hinlegt. Es ist dem Aufwand nach eine Ausstellung, die man eher im Museum erwartet: 250 Objekte von 36 Künstlern kreisen um ein brisantes, eminent aktuelles und kontroverses Thema. „Die Computer die wir erfunden haben, beginnen jetzt damit, uns zu programmieren“, sagt Cotton, die das Thema seit drei Jahren bearbeitet.

Als Indiz für ihre These stehen fünf Monitore des Iren Yuri Pattison im Raum, eine reale Überwachungszentrale, die live mit Kameras verbunden ist, ferner aus dem Internet gegriffene und veränderte Texte und einen Nachrichtenticker in Echtzeit einspielt. Computer errichten hier aus nicht nachvollziehbaren Bausteinen eine eigene Wirklichkeit, der Kunstvereinsbesucher ist darin nur ein manipulierbarer Statist.

Der Körper wird neu vermessen

Euphorie und Skepsis, große Faszination, die Neugier auf das, was die ersten Computer konnten, ein spielerisches Moment, aber auch Ironie prägen die Anfänge: Die Beschäftigung der Kunst mit dem Phänomen der Künstlichen Intelligenz kommt in den 1960er Jahren richtig in Fahrt. Max Bense zeigt 1965 an der TH Stuttgart die erste Ausstellung computergenerierter Kunst. Die Pop-Art nimmt die Möglichkeit digital hergestellter Bilder und Welten begierig auf, „denkende Maschinen“, computergesteuerte Plotter, die „von alleine“ zeichnen und malen können, kommen zum Einsatz. Der Körper wird neu vermessen und definiert. Auch unsere Welt und die Umgebung erfahren eine neue Deutung: Nicht zufällig erregt 1968 Stanley Kubricks Kinofilm „2001: Odyssee im Weltraum“ rund um den intelligenten Supercomputer „HAL 9000“ die Gemüter.

Wunderbare Kurzfilme aus den 1960er und frühen 1970ern von Stan Vanderbeek und Lillian Schwartz spielen mit der Ästhetik, der Poesie und den Möglichkeiten früher Computerprogramme. Unbändige Experimentierlust trifft aber auch hier auf Skepsis – das Bad im Datenmeer wird von Ängsten und bösen Ahnungen begleitet. Paolozzis Bilderzyklus „The Conditional Probability Machine“ (1970) formuliert dieses Unbehagen, lässt Menschen zu Maschinen mutieren, das Geheimnis des Lebens gerinnt zur Summe des Machbaren. Eine erschreckende Vision. Frühe Plotterzeichnugen bringen klassische Themen aufs Papier: Porträt und Akt. Doch bald wird die Pixel-Ästhetik zum Thema. Die Literatur springt auf den Zug der künstlichen Intelligenz: Das Buch, das William Chamberlain mit dem „Racter“-Programm 1983 nach dem Zufallsprinzip schrieb, trug den Nonsens-Titel „The Policeman's Beard is Half Constructed“ („Der Bart des Polizisten ist halb gebaut“), er gab der Bonner Schau ihren Namen.

Michelle Cottons spannende Recherche reicht mit raffinierten Arbeiten bis in unsere Gegenwart: Bis zu Thomas Bayrles Scheibenwischerpaar, das Eric Saties „Furniture Musik“ dirigiert, und zu einem Fußball, der durch Geisterfuß durch den Kunstverein gedribbelt wird. Die in New York lebende Agnieszka Kurant hat in diesem Ball die Informationen von 100 000 Online-Kicker gespeichert und setzt sie in Bewegung um. Ein Witz? Nein: Für sie ist der Fußball-Roboter ein geschlossenes, betont unkommerzielles Spielgerät – anders als die Foren, in denen gewöhnlich online gekickt werde. Dort würden die Daten der Spieler, so Kurant, durch Künstliche Intelligenz ausgewertet und von der Wirtschaft gezielt vermarktet. Das bittere Ende einer Zukunftseuphorie.

Bonner Kunstverein; bis 19. November. Di-So 11-17, Do bis 19 Uhr

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