Kommentar Nach Merkel - Bundespolitik nach der Hamburg-Wahl

Wenn der Amtsinhaber keine Fehler macht, ist die Machtoption sehr klein. Und deshalb muss man manchmal auch einen langen Atem haben."

Angela Merkel hat das gestern gesagt. Sie wollte damit der Hamburger CDU Mut machen, die bei den Landtagswahlen ein historisches Debakel erlebte. Aber man hätte auch meinen können, sie redete über sich selbst. Auf Bundesebene braucht nämlich die SPD diesen ganz langen Atem.

Die Wahl von Olaf Scholz war keine Parteien-Wahl zugunsten der SPD, sondern eine Vertrauenswahl zugunsten des Bürgermeisters. So wie auf Bundesebene genau dieses Vertrauen in die Kompetenz und Seriosität der Kanzlerin Wahlsiege der Union garantiert. Nur regiert niemand ewig, und Angela Merkel steht im zehnten Jahr ihrer Kanzlerschaft.

Merkel würde man es durchaus zutrauen, dass sie irgendwann meinen könnte, nun sei es genug. Deshalb drängt sich im Hinblick auf die CDU auch der unbehagliche Gedanke auf, dass die Christdemokraten am Hamburger Wahlabend einen düsteren Blick in die Zukunft nach Merkel geworfen haben könnten.

So viel ist klar: Wenn es nicht mehr Merkels Ansehen ist, das die Bürger vom Sinn des Kreuzchens bei der CDU überzeugen kann, dann müssen eben überzeugende politische Angebote den Ausschlag geben. Dann aber könnte es rasch peinlich werden. Die Union punktet weiter zuverlässig bei Älteren und Rentnern. Aber seit langer Zeit hat sie beim städtischen Publikum den Anschluss verpasst.

Dort, wo viele junge, gut ausgebildete Frauen Karriere und Beruf in Einklang bringen wollen, zieht das Betreuungsgeld nicht als Wahlkampfschlager, wohl nicht einmal die Mütterrente. Wo längst Singlehaushalte und unkonventionelle Muster des Zusammenlebens die Normalität sind, verfängt das hohe Lied auf die klassische Familie nicht mehr. Und wo Internationalität und das Zusammenleben unterschiedlicher Kulturen eingeübte Praxis ist, klingen nationale Beschwörungen aus der Zeit gefallen.

Allerdings ist es andererseits keineswegs so, als hätte die SPD da viel mehr zu bieten. Bundespolitisch kümmert sich die Partei um Empfänger des Mindestlohns, um Aufstocker und Langzeitarbeitslose - alles sehr sinnvoll. Aber warum wundert sich die Partei, dass das Bedienen des klassischen SPD-Milieus exakt das rund 25 Prozent große klassische SPD-Milieu anzieht und nicht mehr? Das könnte man von Olaf Scholz lernen: Der wirkt weit in bürgerliche Wählerschichten hinein, weil er sich um bürgerliche Wählerschichten bemüht.

Man kann im Trend zu Personenwahlen eine ungute Entpolitisierung sehen. Da ist etwas dran. Deshalb wird es verstärkt die Aufgabe der kleineren Parteien sein, Themen schärfer anzuspitzen. Da ist es nicht schlecht, dass die FDP nicht ganz aus dem Geschäft ist. Die AfD weiß ja nicht, wo sie hin will - Richtung Hamburg oder Richtung Sachsen.

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