11. September 2001 Gewollter Stillstand

WASHINGTON · Rund 13 Jahre nach den Terroranschlägen vom 11. September in New York und Washington wird der Prozess gegen die fünf mutmaßlichen Drahtzieher um Scheich Mohammed für die Angehörigen der 3000 Opfer mehr und mehr zur Tortur.

War Fortschritt bei dem Versuch Recht zu sprechen gegen Amerikas Staatsfeinde Nr. 1 in dem Militärtribunal in Guantánamo Bay immer schon eine Schnecke, so drängt sich der Eindruck eines gewollten Stillstandes auf.

Das Vorspiel zum echten Prozess, in dem die Anklagepunkte Terrorismus, Flugzeugentführung, Verschwörung, Mord, Angriff auf Zivilisten, vorsätzliche schwere Körperverletzung und Zerstörung von Eigentum zur Debatte stehen, droht zur never-ending-story zu werden.

Wann immer Richter James Pohl Streitpunkte der Verteidiger von Scheich Mohammed, Ali Abdel Asis Ali, Mustafa Ahmed al-Hausawi, Walid bin Attasch und dem aus Hamburg stammenden Ramzi Binalshibh ausräumen wollte, setzte von unerwarteter Seite Störfeuer ein. Mal drehte eine bis heute nicht zweifelsfrei identifizierte Macht dem Gericht über Pohls Kopf hinweg den Mikrofon-Ton ab.

Vorzugsweise, wenn folterähnliche Praktiken zur Sprache kommen sollten, denen die Angeklagten bei den Verhören durch den Geheimdienst CIA unterzogen wurden. Mal führten die Verteidiger glaubhaft an, dass Gespräche und Post zwischen ihnen und den seit über einem Jahrzehnt in Isolationshaft gehaltenen Terrorverdächtigen abgehört oder abgefangen wurden. Diverse E-Mails sind sogar komplett verschwunden.

Mit jeder neuen Anhörung, die in der Sache substanzlos enden, schwindet die Aussicht auf baldigen Beginn eines fairen Prozesses ein Stückchen mehr. Weil davon auszugehen ist, dass die Bundespolizei im brisantesten Kriminalfall der USA nicht auf eigene Faust handelt, liegt der Verdacht einer von oben gewollten Sabotage nahe. Mögliches Motiv: Große Teile des für die innere Sicherheit zuständigen Staatsapparates wollen zumindest so gut es geht verzögern, dass die Foltermethoden der CIA bei der Aufklärung der Anschläge vom 11. September vollständig ans Licht kommen.

Verhindern können sie es nicht mehr, seit der Senat vor Kurzem eine Freigabe geheim gehaltener Berichte durchgesetzt hat. Für Präsident Obama ist die juristische Hängepartie in Guantánamo doppelt blamabel. Er war es, der Scheich Mohammed "KSM" und die anderen 2009 vor einem Zivilgericht aburteilen lassen wollte. Nach massiven Protesten im Kongress knickte er ein und gab notgedrungen einem Militärtribunal den Vorrang - als zweite Wahl. Ob es hier jemals zu einem rechtskräftigen Urteil kommen wird, mit dem Amerikas schlimmste innenpolitische Verwundung nach dem Zweiten Weltkrieg geheilt werden kann, ist heute so ungewiss wie nie zuvor.

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