Kommentar Europawahl - Mehr Ehrlichkeit

Wahltage sind oft Tage der Abrechnung. Wenn die Europäer in rund vier Wochen über ihr Parlament abstimmen, wird für viele Bürger zählen: Wie sicher ist unser Geld? Wie erfolgreich haben die Politiker die Schuldenkrise bekämpft, und was wird den Steuerzahlern in Zukunft aus Brüssel aufgebürdet?

Gerade in Deutschland ist die Skepsis groß. Laut aktueller Umfrage glauben 81 Prozent, dass die Krise nicht ausgestanden ist. Die Unsicherheit der Bürger ist berechtigt und verständlich. Sie beruht nicht zuletzt darauf, dass sowohl Euro-Gegner als auch -Befürworter bewusst Emotionen schüren und immer genau den Teil der Wahrheit verschweigen, der nicht in ihr Weltbild passt. Mehr Ehrlichkeit, bitte! Der Wähler kann sie vertragen.

Beispiel Griechenland. Immer wieder meldet Brüssel neue Anzeichen der wundersamen Erholung des Krisenstaates. Jetzt hat Athen erstmals einen sogenannten Primärüberschuss erzielt - also mehr eingenommen als ausgegeben. Allerdings: Zinszahlungen sind ausgenommen.

Die Wahrheit lautet: Griechenland ist - Primärüberschuss hin oder her - weiterhin de facto pleite. Ohne Europas Hilfe und irgendwann einen drastischen Schuldenschnitt ist das Land nicht zu retten. Das ist eine politische Entscheidung, die man für falsch oder richtig halten kann. Man sollte sie jedoch klar als solche bezeichnen.

Eine weitere unbequemen Tatsache: Die Schuldenkrise ist noch längst nicht bewältigt. In vielen Ländern sind die Verbindlichkeiten und die damit verbundenen Zinszahlungen erdrückend hoch. Gerade die Länder mit den größten wirtschaftlichen Schwierigkeiten können ihren Schuldenstand trotz guter Absichten gar nicht so weit herunterschrauben, wie es notwendig wäre.

Es sollte eine Selbstverständlichkeit sein, dass Deutschland mit seinen satten Steuereinnahmen und verschwindend geringer Arbeitslosigkeit einen Haushaltsüberschuss erwirtschaftete. Doch wo sollen Krisenstaaten, in denen zum Teil fast jeder zweite Bürger ohne Job ist, noch weiter massiv sparen?

Kaum ein Euro-Skeptiker erkennt die Anstrengungen der Krisen-Länder an, spricht vom Leid der einfachen Bürger unter den Reformen. Kein Brüssel-Kritiker gibt zu, wie Deutschland von der geschmähten Gemeinschaftswährung bereits profitiert hat. Dass wir unsere Produkte nur so günstig in alle Welt verkaufen können, weil der Wert des Euro sich nicht nur nach der Stärke unseres Landes, sondern nach der Wirtschaftskraft aller Mitglieder richtet. Die Wahrheit lautet: Deutschlands Wohlstand ist auch auf Kosten der anderen Euro-Länder erkauft.

Wie Europas Wirtschaft sich weiterentwickelt, kann kein Brüsseler Politiker und kein Euro-Gegner voraussagen. Auch das ist eine Wahrheit.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Ende der Naivität
Kommentar zu russischer Spionage in Deutschland Ende der Naivität
Zum Thema
Jana Marquardt
zu Arbeitslosen in Deutschland
Viel Potenzial bei Ungelernten
Kommentar zur ArbeitslosenquoteViel Potenzial bei Ungelernten
Eine andere Welt
Kommentar zu den weltweiten Militärausgaben Eine andere Welt
Wieder ein Endspiel?
Kommentar zur krieselnden Ampel-Koalition Wieder ein Endspiel?
Aus dem Ressort