Kommentar EU-Abhängigkeit vom russischen Gas - Anfälliger als erlaubt

Das Problem ihrer unbehaglichen Ost-Abhängigkeit beim Gasnachschub ist der EU nicht erst seit dem russisch-ukrainischen Konflikt bewusst. Spätestens seit der Auseinandersetzung im Jahre 2009 wissen die Verantwortlichen in Brüssel und den Hauptstädten, dass sie an diesem Punkt druckanfälliger sind, als die politische Klugheit erlaubt.

Die ewige Beruhigungspille "Moskau war selbst im Kalten Krieg ein zuverlässiger Lieferant" ist ja keine Garantie dafür, dass "Moskau" - wer immer das gerade verkörpert - auch künftig die Linie zwischen Politik und Geschäft da zieht, wo es sowjetischen Kreml-Herren beliebte.

Daher hat es nicht nur mit milderem Wetter und volleren Speichern zu, wenn die EU diesmal besser vorbereitet scheint. Die EU hat wenigstens angefangen mit den fälligen Schularbeiten: Es werden neue Leitungen gebaut und Lieferwege installiert. Es werden die technischen Voraussetzungen geschaffen, dass Gas im Falle eines Falles in die Gegenrichtung fließen kann. Und es werden vor allem alternative Bezugsquellen aufgetan: neben dem Traditionslieferanten Norwegen zählen dazu Algerien, Aserbaidschan oder die Herren der Vorkommen unter dem östlichen Mittelmeer (Israel, Türkei, Zypern, Griechenland).

Noch sind sechs EU-Staaten mit ihrem kompletten Gasbedarf von Russland abhängig. Zum Teil gibt es überdies nur einen Weg, auf dem die Ware kommt. Das ist eine ungesunde Situation, selbst wenn sich Wladimir Putin weiter an die Rolle des treuen Lieferanten hält. Der mühsame Versuch der EU, eine glaubwürdige Drohung mit Wirtschaftssanktionen gegen Russland zustande zu bringen, hat ja weniger mit großer Friedfertigkeit als mit übergroßer Angewiesenheit zu tun.

Es ist gut, dass sich die EU auf den Weg gemacht hat, dieser Zwangslage zu entkommen. In diesem Sinne ist es nicht unbegründet, wenn die EU-Oberen angesichts des neuerlichen Gas-Zwistes Gelassenheit demonstrieren. Nur ist mittlerweile die politische Großwetter-Lage eine völlig andere.

Der Gas-Konflikt ist nur ein Aspekt des großen Kräftemessens, in dem der Westen angeblich das Denken in Einfluss-Sphären hinter sich gelassen hat und nun seine Werte - Völkerrecht, Freiheit, Demokratie - gegen die Herausforderung durch einen Machtpolitiker alter, autoritärer Schule behaupten muss. Bei dieser Auseinandersetzung hat die EU die Ukraine unter ihre Fittiche genommen, finanziell wie politisch.

Die nächste Bewährungsprobe steht an: Kommende Woche soll der Wirtschaftsteil des Partnerschaftsabkommens Brüssel - Kiew unterzeichnet werden. Das war bekanntlich im letzten Herbst Auslöser der Krise, die bis heute andauert. Man kann nur hoffen, dass die EU beim zweiten Anlauf Risiken und Nebenwirkungen besser im Griff hat.

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