Kommentar Die Ukraine-Krise - Putin und Europa

Am heutigen Freitag ist Europatag. Das wissen die wenigsten, das muss man auch nicht wissen. Aber die Krise um die Ukraine zeigt, um was es geht, wenn es um Europa geht: Nicht um Übergriffe aus Brüssel, um es zuzuspitzen, sondern zum Beispiel um Übergriffe aus Moskau.

Europa ist zum Kontinent des Friedens geworden, nicht weil das irgendein Gipfeltreffen so verabredet hätte, sondern weil das den Interessen aller dient. Werden diese Interessen verabsolutiert, werden die Interessen anderer missachtet, steigt die Gefahr, dass der Frieden gefährdet wird.

Das ist die Situation an diesem heutigen Europatag. Am Ostrand der Europäischen Union brodelt es. Nicht, weil Wladimir Putin das will oder inszeniert hat, sondern weil es eine Interessenlage gibt, die diese Unruhe hervorruft. Die Ukraine ist nicht erst seit heute ein gespaltenes Land. Sie muss deshalb kein zerfallendes Land werden, aber dass es prowestliche und prorussische Bevölkerungs- und damit Landesteile gibt, ist eine Realität. Weil es zunehmend zu einer bitteren, teilweise tödlichen Realität geworden ist, muss das oberste Ziel aller Bemühungen sein, den Frieden in diesem Land und zwischen den Parteien, die sich in diesem Konflikt engagieren, wiederherzustellen.

Deshalb ist der ansonsten natürlich bisher inhaltsleere Vorschlag der deutschen Bundeskanzlerin, in der Ukraine einen Runden Tisch zu schaffen, richtig. Erst recht nach der Abfuhr, die die prorussischen Separatisten gestern Putin erteilt haben. Es ist das alte, bewährte Motto, das diesen Vorschlag trägt: Die Konfliktparteien gehören an den Verhandlungstisch, nicht auf die Barrikaden.

Deshalb war auch der Entwaffnungskompromiss von Genf ein richtiger Kompromiss, auch wenn er sich in Teilen als illusorisch herausgestellt hat. So wenig, wie es der Befriedung der Situation dient, wenn der russische Präsident zündelt oder zündeln lässt, so wenig ist es hilfreich, wenn der Westen unausgegorene Stationierungs- oder gar Assoziierungspläne forciert. Und eine EU-Annäherung der Ukraine wäre faktisch so eine Assoziierung. Wer den Frieden will, muss die Interessen beider Seiten kennen und berücksichtigen.

Wer Putin nur verteufelt, wird aus dem Teufelskreis der vermeintlichen Stärkedemonstrationen nicht herauskommen. Wer seine Interessen offen definiert, muss auch nicht mehr zum Mittel der politischen Lüge greifen, so wie es Putin getan hat, als er seine Einflussnahme auf der Krim und jetzt in der Ostukraine leugnete.

Das Entspannungssignal des russischen Präsidenten an die Regierenden in Kiew war ein gutes Signal. Eine Anerkennung regulärer Wahlen in der Ukraine in gut zwei Wochen wäre ein weiteres. Und die Europäische Union ist gut beraten, sich endlich ein durchdachtes Konzept für den Umgang mit den Anrainern im Osten auszudenken. Nicht nur am Europatag.

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