Bärbel Höhn: "Leere Teller, dicke Steaks"

Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, über Schwarz-Grün, gestiegene Lebensmittelpreise und Artenvielfalt

Bonn. Eine völlige Umstrukturierung der Agrarsubventionen fordert die Grünen-Fraktionsvize im Bundestag, Bärbel Höhn. Mit ihr sprach Maike Freund.

General-Anzeiger: Auf dem NRW-Landesparteitag der Grünen haben Sie klar gemacht: Mit Ole von Beust kann es nicht schlimmer werden als mit Wolfgang Clement. Ändern die Grünen gerade ihr Profil, um regieren zu können?

Bärbel Höhn: Nein, wir ändern unser Profil nicht. Die NRW-SPD unter Clement ist sehr konservativ gewesen und hat sich in vielen Positionen nicht wesentlich von der CDU unterschieden.

Deshalb kann ich sagen, dass die Koalitionsverhandlungen in Hamburg offensichtlich nicht schlimmer waren, als die, die wir mit Clement geführt haben. Aber natürlich ist uns das Programm der Sozialdemokraten sehr viel näher.

GA: Wo liegen die Schnittmengen - auch auf Bundesebene - zwischen Schwarz-Grün?

Höhn: Die Schnittmenge zwischen Schwarz-Grünen auf Bundesebene ist extrem gering. Das wird bei wichtigen Themen wie Atompolitik und Gentechnik besonders deutlich. Und wenn man bei solchen Punkten nicht zu einem befriedigenden Ergebnis kommt, sollte man eine Koalition nicht anstreben. Insofern reden wir in Berlin auch nicht über Schwarz-Grün als Option wie in Hamburg.

GA: Weltweit sind die Lebensmittelpreise innerhalb eines Jahres um 40 Prozent gestiegen. Bietet Gentechnik nicht doch eine Möglichkeit, um den Hunger in der Welt und die hohen Lebensmittelpreise zu bekämpfen?

Höhn: Gentechnik wird das Problem nur verschärfen. Und zwar schon deshalb, weil es das Hauptziel eines Unternehmens ist, Gewinn zu machen. Sie haben ja nicht den Kampf gegen den Hunger im Kopf. Ein weiterer Grund ist die Abhängigkeit:

Das Saatgut bindet den Bauern an ein Unternehemen, die darauf liegenden Patente treiben die Kosten in die Höhe und auch der Einsatz von Pestiziden ist teuer, weil er mit speziellen, von den Unternehmen hergestellten Mitteln erfolgen muss.

GA: Wie wollen die Grünen dafür sorgen, dass Lebensmittelpreise nicht weiter steigen und der Hunger zunimmt?

Höhn: Entscheidend ist, dass wir die Agrarsubventionen umstrukturieren. Lebensmittel werden hoch subventioniert auf den Weltmarkt geworfen und zerstören so die Märkte in Schwellenländern. Also darf es nicht sein, dass wir noch Exportsubventionen bezahlen.

Wir müssen Bauern unterstützen, wenn sie das Gewässer schonen oder Ökolandbau betreiben. Gleichzeitig müssen die Bauern der Schwellenländer die Chance bekommen, sich und ihre Bevölkerung wieder selbst versorgen zu können.

GA: Wie steht es um das Thema Bioenergien?

Höhn: Grundsätzlich gilt: Regenwald abholzen, um Agro-Sprit herzustellen, darf nicht sein. Wir müssen auch darauf achten, dass kein Schiebebahnhof entsteht, dass der Wald für Zuckerrohr nicht abgeholzt werden darf, wohl aber für Weideland.

GA: Wie sieht es mit unserem Fleischbedarf aus?

Höhn: 30 Prozent der weltweiten Fläche wird für die Fleischproduktion gebraucht. Es gilt also einerseits: leere Teller, volle Tanks, aber auch: leere Teller, dicke Steaks. Wir essen in Deutschland zu viel Fleisch, rund 1,5 Kilo pro Woche. Für eine Kalorie Rindfleisch benötigt das Tier aber sieben Kalorien Pflanzen. Eine andere Ernährung würde also den Hunger verringern.

GA: Im Mai findet die Biodiversitätskonferenz in Bonn statt. Was versprechen Sie sich von dem Treffen?

Höhn: Die Knackpunkte scheinen mir der Schutz des Waldes und das Thema Gentechnik zu sein. Wir müssen dazu kommen, dass das, was auf der Konferenz beschlossen wird, auch umgesetzt wird, auch wenn es bedeutet, dass die Beschlüsse nicht ganz so ehrgeizig sind.

GA: Viele Deutsche wissen nicht, was sich hinter dem Begriff Biodiversität verbrigt. Woran liegt das?

Höhn: Der Begriff ist einfach sehr sperrig und deshalb rede ich auch immer von Artenvielfalt.

GA: Was muss sich bei uns ändern, wenn wir Natur und Arten schützen wollen?

Höhn: Wir erwarten beispielsweise von Brasilien, dass es den Regenwald und die Artenvielfalt schützt. Aber wir können nicht von anderen verlangen, woran wir uns selbst nicht halten.

Ein Beispiel: Weil sich das Phantasialand erweitern will, sollen dort 50 000 Bäume abgeholzt werden. Bei wirtschaftlichen Interessen gilt bei uns fast immer: Der Naturschutz verliert, und das merken sich die anderen.

Zur Person:Bärbel Höhn, 1952 geboren, ist seit 1985 bei den Grünen. Die Mathematikerin war von 1995 bis 2005 Ministerin in Nordrhein-Westfalen; erst für Umwelt und Landwirtschaft, später auch für Natur- und Verbraucherschutz. Seit 2006 ist sie stellvertretende Fraktionschefin im Bundestag und zuständig für Umwelt, Energie, Landwirtschaft und Tierschutz.

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