Kommentar Was nun?

BERLIN · Deutschland, was nun? Der europäische Klassen-Primus hat ein Problem. Das Land lernt gerade, dass ein eindeutiges Wahlergebnis noch lange keine eindeutigen Mehrheitsverhältnisse bedeutet.

Der mit großer Macht frisch ausgestatteten Wahlsiegerin Angela Merkel fehlt ein Koalitionspartner. Schnell war in CDU und CSU klar: Die Suche wird schwierig. Eine Sache von Angebot und Nachfrage. Wer bietet? Wer will? Wer kann mit wem?

Alle Akteure haben ihre Optionen, wobei die Unionsparteien mindestens eine mehr haben als SPD und Grüne. Vergessen wir das Wort "Wunschkoalition". Ein gutes, ein funktionierendes, weil an den Problemen des Landes ausgerichtetes politisches Arbeitsbündnis wäre schon viel.

Die SPD sperrt sich aus verständlicher Angst, in einer Koalition unter Merkels Führung erneut skelettiert zu werden. Die Grünen mauern ebenfalls, weil sie Zweifel an der erzielbaren Menge an Gemeinsamkeiten mit der Union haben. Doch auch wenn Schwarz-Grün, vor allem im Zusammenspiel von CSU und Grünen, als extrem schwierig gilt, eine Option ist nur dann eine Option, wenn man ihre Möglichkeit auslotet. Also: Scheuklappen runter, hinsetzen, reden, nachdenken - ohne Vorbedingungen.

Können sich Union, SPD und Grüne der von den Wählerinnen und Wählern bestimmten Realität verweigern? Dann hätten sie ihren Auftrag als politische Parteien missverstanden. Sie haben die demokratische Pflicht, miteinander ins Gespräch zu kommen.

Schwarz-Rot? Die in der Bevölkerung am stärksten favorisierte Koalition. Die Hoffnung dahinter: Eine große Koalition kann auch große Probleme lösen. Doch vor allem die NRW-SPD unter Ministerpräsidentin und Partei-Vize Hannelore Kraft fürchtet, dass die Probleme der SPD dadurch nur noch größer werden. Der Widerwille gegen Schwarz-Rot ist groß. Die Partei steht vor einer Zerreißprobe. Gut möglich, dass am Ende ein Mitgliederentscheid steht - mit offenem Ausgang.

Schwarz-Grün? Viele Realos sind verschnupft über den Links-Wahlkampf mit falschen Akzenten. Die Partei sortiert sich gerade. Wer weiß, wohin neue Dynamik die Grünen noch treibt. Dass sie der Union um den Hals fallen, ist unwahrscheinlich, aber gefragt ist die Kunst des Machbaren. Merkel wiederum ist im Moment eine Kanzlerin ohne Mehrheit. Sie darf keine Option aus der Hand geben. Schwarz-Grün ist eine.

Minderheitsregierung? Die Staatsschulden- und Euro-Krise ist nicht überwunden. Deutschland stand bisher für Stabilität, aber nur, weil es selbst auch politisch stabil war. Eine Minderheitsregierung, die auf wechselnde Mehrheiten angewiesen wäre, könnte diese Stabilität nicht garantieren. Es bleibt also die schwierige Koalitionssuche. Denn was wäre die Alternative? Neuwahlen, bis das Ergebnis passt? Nein!

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