Fit in den Frühling Eine kleine Kulturgeschichte der Diät und des Körperbewusstseins

BONN · Die drei Grazien des niederländischen Malers Peter Paul Rubens kamen noch ganz ohne Diät aus - und galten im 17. Jahrhundert doch als Schönheitsideale. Diäten für eine schlanke Figur kamen dem Großteil der Menschen lange nicht in den Sinn.

 Schönheit, mit Rubens-Augen gesehen: "Die drei Grazien" des niederländischen Malers würden heute als übergewichtig gelten - im 17. Jahrhundert waren sie echte Hingucker.

Schönheit, mit Rubens-Augen gesehen: "Die drei Grazien" des niederländischen Malers würden heute als übergewichtig gelten - im 17. Jahrhundert waren sie echte Hingucker.

Foto: dpa

Ursprünglich hatte das Wort "Diät" ohnehin eine ganz andere Bedeutung. "Der Begriff geht auf das griechische Wort ?diaita? zurück, was Lebensweise bedeutet. In der Antike ging es um eine ganzheitliche, also eine körperliche und geistige Bildung des Menschen", erklärt der Kulturanthropologe Professor Dr. Gunther Hirschfelder, der seit Jahren zum Thema Esskultur forscht.

Eine Diät setze voraus, dass mit dem Körper etwas nicht in Ordnung sei. Davon ging die Menschheit jedoch lange nicht aus. "Im Mittelalter dachten die Menschen nicht daran, ihren Körper formen zu müssen - er war schließlich ein Geschenk Gottes", so der Wissenschaftler, der sich in seinem Buch "Europäische Esskultur" der Geschichte der Ernährung von der Steinzeit bis heute widmet.

Mit der Aufklärung wuchs schließlich auch die kritische Betrachtung des eigenen Körpers. "Durch die Verweltlichung im 18. und 19. Jahrhundert waren die Menschen auf einmal unvollkommene Individuen, die eigene Verantwortung für ihren Körper trugen", berichtet Hirschfelder, der lange in Bonn dozierte und jetzt an der Universität Regensburg Vergleichende Kulturwissenschaft lehrt. "Seit Ende des 18. Jahrhundert haben Menschen zunehmend das Bedürfnis, ihren Körper zu verändern - zum Beispiel mit Heilwassern oder Trinkkuren."

Der englische Schriftsteller Lord Byron etwa unterzog sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts einigen Hungerkuren. Und eines der ersten Fitnessstudios entstand gegen Ende des 19. Jahrhunderts in London. Der sogenannte "Vater des Bodybuildings" Eugen Sandow, der eigentlich Friedrich Wilhelm Müller hieß und aus Ostpreußen stammte, gründete das Institut für Körperkultur 1897.

Auch der Schriftsteller Franz Kafka soll, wie Medizinhistorikerin Louise Foxcroft in ihrem kürzlich erschienenen Buch "Calories & Corsets. A history of dieting over 2000 years" schreibt, Diät gehalten haben.

Zwar greift Foxcroft darin Beispiele aus einer 2000-jährigen Geschichte des Abnehmens auf. "Aber solange in der westlichen Welt noch Menschen hungerten, war das Diäten kein Massenphänomen", erklärt Professor Hirschfelder. "Das begann erst nach dem zweiten Weltkrieg, als Reaktion auf die Wohlstandsgesellschaft, mit Aufkommen der Fitnesswelle in den 1970er Jahren."

Aus den drei Grazien wurden "drei Engel für Charlie", die superschlanken Superfrauen aus der gleichnamigen Fernsehserie. "Das Körperideal ist seither viel stärker gefragt als der Intellekt. Man könnte auch sagen: Der Körper hat den Geist abgelöst", sagt Hirschfelder. "In unserer modernen Leistungsgesellschaft herrscht ein überspitztes Körpergefühl. Es geht ständig darum zu demonstrieren, dass man aktiv, jung und schön ist."

Und der Wissenschaftler macht eine weitere Entwicklung aus: "Gleichzeitig spiegelt sich die Einkommens- und Bildungsschere in unserer Gesellschaft auch in einer Körperschere wider: Menschen aus bildungsfernen Schichten sind häufiger übergewichtig", sagt der Kulturanthropologe. "Frust kann ein Grund für zu viel und ungesunde Ernährung sein."

Welche große Rolle der Körper heute spielt, werde auch deutlich, wenn man Ideale der Unterhaltungsindustrie aus den verschiedenen Jahrzehnten vergleicht: "Heinz Erhardt mit seiner fülligen Figur etwa wurde für seinen Intellekt, seinen Witz verehrt. Heute bewundern viele Menschen Dieter Bohlen, der sich jung stylt und sich sozusagen als Teenager verkleidet." Und auch in dessen Casting-Shows steht nicht selten die Figur im Vordergrund - Rubens' drei Grazien hätten bei ihm wohl keine Chance gehabt.

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